Blaue Nächte

Generationen-Drama: »Die Wolken von Sils Maria« von Olivier Assayas

Maria Enders (Juliette Binoche), eine Schauspielerin Anfang 40, kehrt nachts in ihr Hotelzimmer zurück. Der Flatscreen des Fernsehers wirft kühles Licht in den Raum; dazu kommt das Licht des iPhones, dessen bläuliche Reflexion das Gesicht Marias aus der Dunkelheit herausholt. Olivier Assayas ist sicher nicht der erste Regisseur, der mit den Lichteffekten von Smartphones und Tablets arbeitet; doch in seinem jüngsten Film »Die Wolken von Sils Maria« tut er dies auf offensive Weise. Nächtliche Versunkenheit hat nichts mehr mit dem warmen Schimmer von Kerzen, sondern mit einem Blaustich zu tun.

 

Nicht nur als Lichtquellen spielen Displays in »Die Wolken von Sils Maria« eine Rolle, die Figuren nutzen sie zudem fast ohne Unterlass. Virtuos inszeniert Assayas dies in der Eröffnungssequenz. Während einer Zugfahrt durch die Schweizer Berge steht Maria Enders’ Assistentin Val (Kristen Stewart) im Gang. Sie hantiert mit iPhone und Blackberry, führt mehrere Gespräche gleichzeitig und schimpft laut auf, sobald sie keinen Empfang hat. Der Raum ist eng, doch das ändert nichts daran, dass Val potenziell mit der ganzen Welt in Kontakt steht. Reißt die Verbindung wegen eines Funklochs ab, ist das wie ein Bruch mit der Ordnung der Dinge.

 

Auf vielen Ebenen variiert »Die Wolken von Sils Maria« die Frage, was geschieht, wenn alte Ordnungen neuen weichen. Maria Enders, als Schauspielerin dem Autorenkino verbunden, erlebt, wie Celebrity-Kultur, Fantasy-Blockbuster und Internetklatsch ihrem Anspruch, Kunst zu machen, den Rang ablaufen. Dass sie unter dem Älterwerden leidet, spiegelt sich in dem Theaterstück, das sie einstudiert; das nämlich kreist um eine Amour fou zwischen einer jungen, ehrgeizigen und einer älteren, schwächeren Frau. Wenn sie mit ihrer Assistentin ihre Dialogzeilen übt, zeichnet sich eine weitere Spiegelung ab, denn das Verhältnis der beiden ist wie ein Echo auf das Verhältnis der Frauen im Stück. Val ist ein Geschöpf der Gegenwart, während Maria im Begriff steht, aus der Zeit zu fallen. Die Besetzung verstärkt dies noch, Stewart wurde mit der »Twilight«-Saga berühmt, Binoche mit Autorenfilmern wie Leos Carax oder Jacques Doillon.

 

Das alles setzt Assayas mit gewohnter Souveränität und mit einem Knicks vor Joseph L. Man-kiewicz’ »All About Eve« in Szene. Es gibt viele schöne Momente, Kulturpessimismus macht sich rar, obwohl er im Sujet angelegt ist, und trotzdem bleibt eine leise Unzufriedenheit, vermutlich, weil Assayas die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, warum er das weibliche Leiden am Älterwerden wie einen anthropologischen Elementarfakt in Szene setzt, während alles andere im Fluss ist.