Paradiese im Tiefparterre

Doku-Fiktion: »Im Keller« von Ulrich Seidl

Der eine hätte große Opernrollen singen können, aber stattdessen schmettert er jetzt Belcanto in seinem Schießkeller — wenn er nicht gerade waffenvernarrten Kleinbürgern eintrichtert, wo der Finger zu sein hat, damit man abdrücken kann. Ein anderer wiederum spielt die Tuba in einem Blasmusikverein, dessen Mitglieder sich gern bei ihm im daheim zwischen reliquiengleich drapierten Wehrmachtskuriositäten und Hitler-Darstellungen besaufen (zwei der Musikanten waren Lokalpolitiker der konservativen ÖVP, was zu deren Rücktritt führte.)

 

Die nette dralle Dame im erdbeerroten Reizgewand wiederum hatte keine Lust mehr, sich von Kunden an der Supermarktkasse wie der letzte Dreck behandeln zu lassen. Weshalb sie Hure wurde und damit anscheinend ganz glücklich ist. Und auch die dominante Dame mit den aparten Haaren macht einen zufriedenen Eindruck, leckt ihr Ehemann doch genauso inbrünstig die Badewanne sauber, wie er sich im Folterkeller am Sack aufhängen lässt.

 

Und das sind noch längst nicht alle Protagonisten, die Ulrich Seidls jüngster (teils inszenierter) Dokumentarfilm zu bieten hat. Konzipiert wurde das Projekt nach »Hundstage« (2001), es hat also nichts mit dem Fall Josef Fritzl zu tun oder noch aktuelleren Geschichten aus der abgründigen Welt vom Tiefparterre an abwärts.

 

Der Österreicher, so Seidl, lebte erst richtig unter der Erde auf, während er ab dem Parterre aufwärts die Scharade vom Konsensalltag spielt. Und das zeigt er hier als Abfolge seiner typischen tableaux vivants, mit gelegentlichen, den Rhythmus mal skandierenden, dann brüsk brechenden Plansequenz-Einschüben. 

 

Die erste Hälfte des Films dreht sich um die Männer und den Thanatos, die zweite um die Frauen und den Eros. Seidl verwindet diese Gegensätze durch eine fiktive Figur, die er aus mehreren im Rahmen der Recherche getroffenen realen Personen zusammengesetzt hat: die Frau, die im Keller Babypuppen aus Pappschachteln nimmt, sie liebkost und zu ihnen spricht, oft auch ihr Leid klagt über den Papa klagt, der in irgendeiner Ferne weilt. Ergreifend ist, wie sich dieser Film vom Tod zum Leben hin entwickelt. Und dass es die Frauen sind, die man am deutlichsten in Erinnerung behält — die Klarheit, mit der sie um ihre körperlichen Bedürfnisse wissen, macht sie artikulierter und schöner.