Sehnsucht nach Entgrenzung

Ehedrama im Glashaus: »Exhibition« von Joanna Hogg

D. und H. bewohnen ein architektonisches Schmuckstück: ein verschachtelt gebautes, dennoch wegen seiner vielen Glasflächen nahezu transparentes Haus. Das Ehepaar führt darin zwei weitgehend separate Existenzen — in ihren Büros/Studios schaffen sie und er allein vor sich hin; wenn sie sich etwas zu sagen haben, tun sie das eher per Telefon. D. ist Künstlerin, arbeitet in den Sparten Performance und Fotografie; H. hingegen scheint Kunsttheoretiker zu sein — zumindest taucht er so in D.s Träumen auf. Langsam, aber sicher lösen sich die Grenzen zwischen Innen und Außen, Sein und Traum auf. Sicher ist immerhin, dass D., wenn sie sich nachts an ihrem Fenster den Blicken der Passanten darbietet, eine Sehnsucht nach Entgrenzung auslebt, die aufregend ist und schön.

 

Das Haus, der eigentliche Prota-gonist von Joanna Hoggs drittem Kinofilm, gestaltete der 2012 verstorbene britische Architekt James Melvin, dem der Film gewidmet ist. Das Künstlerpaar wird von Viv Albertine und Liam Gillick gespielt — sie ist als Sängerin der bis 2010 aktiven Frauenband The Slits eine Punk-Ikone, er ein Weltstar der modernen britischen Kunst, dessen Schaffen seit den 90ern für eine ganze Generation als wegweisend gilt.

 

Einen Gutteil seiner inneren Spannung bezieht »Exhibition« aus dieser Besetzung, da man in D. und H. die ganze Zeit Albertine und Gillick sieht und auch sehen soll — in die Jahre gekommene Widerstandsgeister, die ihren Platz ge--funden (zu) haben (glauben) und nun mit dem größten aller Künstlerkarriere-Probleme beschäftigt sind: Wie macht man weiter, wenn der große Entdeckungsknall verhallt ist? Gillick hat in seinen Werken und theoretischen Essays immer wieder darauf insistiert, dass Kunst und Alltag, Privates und Politisches nicht getrennt werden dürfen. Aber wie lebt sich das zu zweit?

 

Und wann beginnen die Dinge an einem zu nagen, wann wird daraus ein Auffressen? Denn das, so scheint es, tut das Haus: Es hat sich seiner Bewohner angenommen und saugt ihnen nun die Energien aus — die Moderne als Falle? Oder ist es doch eher ihrer beider Dasein in der Kunstblasenwelt, die sie immer mehr an sich und dem anderen und überhaupt der Welt und Wirklichkeit zweifeln lässt? Das alles zeigt Joanna Hogg in Bildern, die wie blank polierte Sicherheitsglasscheiben sind und doch so fein, dass man denkt: Nur nicht niesen jetzt, sonst zerfällt der Film zu Staub. Und dann verflüchtigten sich auch die Gespenster, welche D. und H. vielleicht sind, denn »Exhibition« ist vor allem ein Schauerstück, wie eine Gothic Novel von Ann Radcliffe.