Zwischen Aufstand und Aufgabe

Die Antilopen Gang leistet auf ihrem Album »Aversion« Trauerarbeit

 

Die Geschichte fängt mit einem Ende an. Jakob Wich verliert den Kampf gegen die Depression; er nimmt sich im März 2013 das Leben. Jakob Wich, den meisten besser bekannt unter dem Alias NMZS (gesprochen: Nemesis) und als Mitglied der Rap-Gruppe Antilopen Gang. Wichs Selbstmord ist für seine Freunde und Bandmitglieder der Beginn des beschissensten Jahres ihres Lebens — ein Jahr, in dem »Aversion«, das erste »richtige« Album der Antilopen Gang entsteht.

 

NMZS, Koljah, Danger Dan und Panik Panzer schließen sich 2009 zur Antilopen Gang zusammen. Zuvor gehörten alle vier noch dem Kollektiv Anti-Alles-Aktion an, mit dem sie die rheinländischen Jugendzentren unsicher machten. Bei einem gemeinsamen Essen steht dann Antilope auf der Tageskarte; die vier Jungs bestellen, essen und genießen sie, und benennen schließlich ihre Rap-Crew nach einem Grundnahrungsmittel afrikanischer Löwen. Vier Rapper, die sich im Mittelfeld der Nahrungskette positionieren: genre-üblich ist das nicht. Die Attitüde der Gang atmet viel mehr ihre Punk-Sozialisierung und ihren D.I.Y-Background als HipHop und macht bis heute ihren Charme aus. Mit Auftritten rund um ihre Heimatstädte Aachen und Düsseldorf herum, schafft sich die Gang eine Fanbase, die vor allem die speziellen Texte der Antilopen Gang zu schätzen weiß. Außerdem veröffentlichen die Mitglieder in verschiedenen Zusammensetzungen immer wieder EPs und Alben — stets als kostenloser Download auf ihrer Homepage zu haben.

 

Mit »Fick Die Uni« landet die Antilopen Gang 2009 so etwas wie einen Hit. In dem Song machen sich die Rapper über den »typischen« Studenten lustig und liefern mit dem Titel einen einfachen Slogan, der am Ende des Tages wahrscheinlich sogar in studentischen Playlists neben »Krawall Und Remmidemmi« zu finden sein dürfte. Für die Gang wird der Song zum Fluch; zu oft werden sie auf den Song reduziert. 

 

Danach bleibt die Gang weitestgehend ihren Anhängern vorbehalten, auch weil die »Zeckenrapper« den Mainstream ablehnen. Fünf Jahre später featured nun MTV »Aversion« als Album der Woche, die Bild Am Sonntag widmet den Rappen ein paar Zeilen, die Juice, Deutschlands größtes Rap-Magazin, gleich ein paar Seiten. Die selbsternannten Außenseiter stehen plötzlich mittendrin.

 

Die Server brechen zusammen, nächtelang verpackt die Gang und ihre Freunde CDs: NMZS’ Album »Der Ekelhafte«, das posthum im November 2013 erscheint, wird ein Erfolg. Wie auch bereits das Tribut-Konzert an ihren toten Freund im Düsseldorfer Zakk im August des selben Jahres. Es weckt auch die Aufmerksamkeit der (Rap-)Medien. Das Splash!-Festival lädt ein, Prinz Pi verliest die Teilnehmerliste und erklärt öffentlich, noch nie etwas von dieser Gang gehört zu haben, woraufhin die Gang Prinz Pi disst. Und plötzlich kennt jeder die Antilopen Gang. Schluss mit Do It Yourself. Stattdessen heißt es »Hallo, Label« für Koljah, Danger Dan und Panik Panzer, als sie bald darauf bei JKP unterschreiben. Das ist zwar das Label der Toten Hosen und also kein Major-Label, aber es ist halt doch eine Plattenfirma: Die Band hat ihre Seele verkauft. Mann über Bord, und trotzdem machen sie weiter. Das sagen sie selbst. Denn wenn die Antilopen Gang eines besonders gut kann, dann, über sich selbst zu lachen — und zu weinen.

 

»Aversion«, der Titel verrät’s schon, ist erstmal dagegen. Gegen den Nachbarn, gegen Deutschland, gegen vieles, was sich so im Alltag beobachten lässt und am Ende auch gegen sich selbst. Koljah, Danger Dan und Panik Panzer präsentieren sich als Gefallene in einer Welt, die nichts anderes verdient hat, als mit in den Abgrund gerissen zu werden. »Menschen, die sich sicher fühlen mit Geld auf der Bank, neben sich kollektiv umbringenden Weltuntergangs-Sekten. Das ist alles Wahnsinn, doch je näher ich mich kennen lerne, gebe ich zu, dass ich diese Tendenzen in mir selbst bemerke«, rappt Danger Dan in »Der Goldene Presslufthammer«. Bei aller Kritik an den Umständen vergisst in der Antilopen Gang keiner, sich selbst zu reflektieren. Und hier und da auch nicht den humoristischen Bruch. Weder will die Antilopen Gang alles besser wissen, noch zeichnet sie Karikaturen. Dazwischen Raum für Kritik zu finden, in dem die Nachricht wichtig ist und nicht der Absender, missglückt vielen Rappern. Der Antilopen Gang gelingt es. Sie schwankt zwischen Aufstand und Aufgabe, zwischen Alles-Fatal und Alles-Egal, zwischen Lachen und Weinen. Je nachdem wie hoch der Schutzwall aus Selbstironie in dem jeweiligen Song ist, hört man den einen oder den anderen Pol stärker heraus. »Aversion« bezieht seine Kraft aus der Spannung, die zwischen den Polen vibriert.

 

Auch musikalisch will sich die Gang auf »Aversion« nicht festlegen. Punk-Zitate, etwa von Knochenfabrik oder Slime, gesellen sich neben radiotaugliche Refrains. Mit Roe Beardie hat man einen der ganz großen deutschen Rap-Produzenten zur Seite gehabt. Während die gedankliche Zerrissenheit der Band unterhält, fesselt und, was am wichtigsten ist, zum Mitdenken anregt, wirkt der Rap-Pop-Rock allerdings stellenweise noch unausgereift, unentschlossen.

 

Dass das so ist, passt ebenfalls zu den bewegten eineinhalb Jahren, die hinter ihnen liegen. Mit »Aversion« jedenfalls haben Koljah, Danger Dan und Panik Panzer Rap-Deutschland für’s erste um das vielleicht politischste, sicher aber mit humorvollste und gleichzeitig leidenschaftlichste Rap-Album des Jahres bereichert. Auf NMZS wird darauf mit vielen Zeilen verwiesen. Seine Geschichte wollen die drei verbliebenen Bandmitglieder weitererzählen. Wenn man »Aversion« hört, wirkt es manchmal, als sei es die einzige, die sie gerne erzählen.