»Das ist mein Geschäft«

Steve Albini zügelt sein Ego mit brachialem Understatement

»Electrical Audio, hier ist Steve,« so beginnt das Interview mit Steve Albini. Kurzer Mailaustausch, Anruf im Studio. Die Nummer steht im Internet. Sehr geschäftsmäßig, unkompliziert, überhaupt: »no problem« sagt Steve Albini gerne und oft. Unerwartet, er hat den Ruf, mit vielem ein Problem zu haben.

 

Albini, Sänger, Gitarrist, Bandleader, hat in legendären Post-Punk-Bands gespielt (Big Black, Rapeman, seit 1992 Shellac), richtig bekannt geworden ist er durch die Zusammenarbeit mit Nirvana an deren zweiten Album »In Utero« (1994). Er verleiht Platten einen sehr speziellen Sound, weil er ganz auf das Zusammenspiel der Musiker vertraut, auf die Energie, die sich im Studio ergibt. Diesem Prinzip ist er als Tontechniker über 2000 Alben treu geblieben. Von den Pixies und den Breeders über Mogwai, PJ Harvey, Motorpsycho bis Cloud Nothings und Joanna Newsom reicht seine Kundenliste. Es dürfte schwierig sein, keine von ihm aufgenommene Platte im Plattenschrank zu haben.

 

Jahrelang hat er sich geweigert, mit Mainstreammedien zusammenzuarbeiten, überhaupt ist Verweigerung ungebrochen eine wichtige Haltung für ihn. Nun ist »Dude Incredible« (Touch & Go via Cargo Records) erschienen, das fünfte Album seiner Stammband Shellac. Präziser, überpräsenter, harter Minimalrock mit viel Raum. Wie üblich mit keinerlei Marketingmoves beworben, das Album ist einfach da. Ein Brocken. Von einer unglaublich tight eingespielten Band, die Albini penetrant »mein Hobby« nennt.

 

Mr Albini, ich möchte gern mit Ihnen über Hobby und Arbeit reden, also über?...

Das klassische Modell von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist am Ende. Die Traditionen, ein Handwerk zu erlernen, einer Innung beizutreten, ein Leben lang in einem Geschäft zu arbeiten — all das ist am Ende. Das gilt für jeden Beruf. Also muss jeder sehen, wie er nebenbei arbeitet, um über die Runden zu kommen.

 

Nennen Sie Shellac deshalb Ihr Hobby?

Es gibt einen sehr wichtigen Unterschied. Wenn ich an meiner eigenen Musik arbeite, ist das ein sehr egoistisches Unterfangen. Wir versuchen ausschließlich, uns zufrieden zu stellen. Wenn ich als Tontechniker für jemanden arbeite, interessieren weder mein Geschmack noch bestimmte Vorstellungen. Ich helfe jemandem. 

 

Was änderte sich, wenn Sie Shellac Ihren Beruf nennen würden?

Eine der Gefahren ist, dass Musik ihre Mystik verliert, wenn du professionell an Musik arbeitest. Ich arbeite jeden Tag an Musik, jeden Tag. Nach einer sehr langen Session freue ich mich nicht mehr, eine neue Band zu sehen oder nach Hause zu kommen und noch eine Platte aufzulegen.

 

Die Begeisterung lässt also nach.

Weil es ein Beruf ist und kein Hobby. Ich kenne viele Leute, die den Übergang hinkriegen wollten. Vom Hobby zum Beruf. Irgendwie gelingt es nie, dass sie dadurch glücklicher werden oder bessere Musik machen. Menschen sind in einer Band, lieben die Band, lieben die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten — solange es ein Hobby ist. Wenn es ein Job wird, eine Pflicht, hast du Verantwortung, und Stück für Stück beginnst du das zu hassen. Zuviel Zeit entfernt von der Familie, die schwierige Situation on the road, kein geregeltes Einkommen. Plötzlich wird der Wert eines Auftritts wichtig. Plötzlich beginnst du, vor allem Auftritte anzunehmen, bei denen du gut bezahlt wirst. Das ist das korrumpierende Moment.

 

Was raten Sie den jungen Bands, mit denen Sie in Ihrem Studio aufnehmen?

Nicht jeder, der eine Karriere aus seiner Musik machen möchte, wird das tun können. Für mich ist Musik das gleiche wie Skifahren, Tennis spielen oder Malen. Das sind alles befriedigende Dinge. 

 

Moment. Es gibt keinen Unterschied zwischen Sport oder Kunst?

Alles was man bewusst tut, ist eine Form von Kunst. Alles hat das Potenzial, Kunst zu sein. Ich kenne Handwerker, die verlegen Rohre oder Böden, man kann das Kunst nennen. Oder Leute, die Zimmer saubermachen: einen Raum zu reinigen und von einem unangenehmen Ort in einen warmen Ort transformieren — das ist eine Kunst.

 

Wenn alles Kunst sein kann, was ist dann keine Kunst?

In der Fabrik arbeiten, Verwaltungsarbeit, Büroarbeit. Aber wenn du das zum höchsten Level führst, könnte es auch Kunst werden. 

 

Über Sie kursiert die Geschichte, dass Sie auf viel Geld verzichtet hätten, als Sie mit Nirvana an »In Utero« arbeiteten ...

Plattenproduzenten werden durch sogenannte Royalties an den Verkäufen einer Platte beteiligt, eine prozentuale Beteiligung. Ich bin damit nicht einverstanden. Ich arbeite ein paar Tage lang an einer Platte. Es ist einfach nicht richtig, ein Leben lang dafür bezahlt zu werden. Wenn ich das gemacht hätte, hätte ich jetzt sehr viel mehr Geld. Andererseits haben sich aus genau diesem Grund Bands für mich entschieden, um mit mir als Tontechniker zusammenzuarbeiten.

 

Warum ist Ihnen diese Unterscheidung zwischen Tontechniker und Plattenproduzent so wichtig?

Ein Produzent ist verantwortlich für alle kreativen Entscheidungen auf einem Album. Wie die Instrumentierung klingt, der Sound, die Geschwindigkeit der Stücke, die Arrangements. Popmusik wird ja oft so gemacht: ein Produzent stellt alles bereit, danach kann jeder drüber singen. Der Produzent ist der Autor. So arbeite ich nicht. Bei mir liegt jede kreative Entscheidung bei der Band. Ich mache die Entscheidungen nur möglich — technisch. 

 

Das klingt aber als Unterschied etwas fließend...

Bands brauchen Bestätigung. Ich zeige ihnen dann oft Beispiele, also Alternativen. Es gibt diese völlig falsche Vorstellung, dass Bands Platten aufnehmen, ohne zu wissen, wie sie klingen sollen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nur an der Oberfläche kratzen muss und schon kommt alles raus. Ich hatte noch kein einziges Mal eine paralysierte Band im Studio.

 

Kann man bei Ihnen als Band aus Köln-Kalk anrufen — und Sie nehmen dann deren Album auf?

Das ist mein Geschäft. Es ist wirklich simpel. Anrufen, einen Termin verabreden, das war’s.