Foto: Manfred Wegener

Landsbergstraße: Der ewige Stecknadel-Blues

Die Landsbergstraße hat zwei Seiten: die eine spricht, die andere schweigt

Wer abends am Severinstraßen-Woolworth Richtung Rhein abbiegt und die Achterstraße kreuzt, steht auf einmal in einer riesigen Theaterkulisse. Gelbliches Kunstlicht strahlt von oben auf den sprachlosen Besucher, der plötzlich jede Stecknadel fallen hört. So still ist es in der Landsbergstraße, mitten in der Südstadt, auf dem alten römischen Gräberfeld.

Der stille Norden

Nach Norden türmt sich eine Wohnzeile mit grünen Fensterrahmen. Die Menschen auf dieser Straßenseite – sofern dort welche wohnen – lassen sich seit Jahren nicht sehen, und das denkmalgeschützte Haus ist bis in die obersten Etagen mit Jalousien und Gardinen verbarrikadiert. Nur einmal, als ich einzog, drohte ein mürrischer Mann aus dem Erdgeschoss der ansonsten schweigenden Seite, er werde die Polizei rufen, wenn die Möbelpacker weiter Krach machten. Dann verschwand er wieder. Meine Gattin will außerdem einmal leisen Gesang aus dem christlichen Apostelamt gehört haben, dessen Eingang ein bisschen weiter rheinabwärts liegt.

Lebendiger Süden

In der Südhälfte der Landsbergstraße schäumt das Leben dagegen oft über. Denn dort ist nicht nur die riesengroße Holzhandlung der Schumachers, hier wohnte auch die verkrachte Diseuse Dora Dorette. Einige ältere Frauen aus der Hausnummer 16, die mich einmal sonntags auf einen Sekt einluden, hatten sogar noch eine Schallplatte der Guten im Wohnzimmerschrank und konnten lachend mitsingen.

Flora und Fauna

Aus dem Holzlager dringen je nach Tageszeit sehr interessante Geräusche: Pünktlich um acht Uhr morgens der Dieselmotor des Lastautos, später auch eine elektronisch gesteuerte Vertikal-Säge. Im Efeu der alten Mauer tummeln sich brütende Türkentauben, und hin und wieder huscht abends sogar eine Fledermaus über den Hof. Die riesige, rauschende Linde an der Ecke zur Achterstraße entlässt gelegentlich einen Bockkäfer mit langen, geschwungenen Fühlhörnern, und eine von Herrn Schumacher nach einem Stadtplan aus dem 16. Jahrhundert lagegerecht wieder gepflanzte Eiche ist zum beliebtesten Schlafbaum des Planquadrats herangewachsen.

Gelebte Solidarität

Türschilder verweisen außerdem auf einen Psychoanalytiker, den berufsbegleitenden Sozialdienst, eine chinesische Heilpraxis, einen Installateur sowie einen Sachverständigen für Kriminalbiologie. Liebling aller ist aber der familienbetriebene Kiosk an der Ecke zur Annostraße. Der Besitzer nimmt es so ernst mit dem Wohl seiner Nachbarn, dass er kürzlich sogar eine Lage des edlen Mühlen-Kölschs zurückgehen ließ, weil es ihm nicht frisch genug vorkam. Die KundInnen würdigten seine Courage und verzichteten für einige Tage auf die ureigene Marke des Veedels: Gelebte kölsche Solidarität.