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Seit dem SPD-Vorschlag, mal eben ein paar »Eliteunis« zu gründen, tobt die Debatte durch deutsche Talkshows und Zeitungen: Eliten – was ist das eigentlich? Nützen sie, schaden sie, und wer gehört überhaupt dazu?

Thomas Goebel, Yvonne Greiner, Bernd Imgrund und Felix Klopotek haben sich dem schillernden Begriff »Elite« von verschiedenen Seiten genähert, mit dem Elitenforscher Michael Hartmann gesprochen, die speziellen Machtpositionen in der Stadt Köln in Vergangenheit und Gegenwart betrachtet und zwei untypische Kölner Führungskräfte getroffen: Uni-Rektor Tassilo Küpper und Viva-Chef Dieter Gorny.

Dieter Gornys Vorstandsbüro liegt drüben auf der anderen Rheinseite, in Köln-Mülheim, wo es weniger schick zugeht als im Zentrum – und wo sein Fernsehsender Viva richtig viel Platz hat. Großzügige Studios, breite Flure und riesige Büros prägen das ehemalige Fabrikgebäude des Kabelherstellers Felten & Guillaume. Gorny hat Viva gegründet und groß gemacht. Inzwischen ist die Viva Media AG an der Börse, der internationale Mediengigant AOL Time Warner sitzt mit im Boot – und Gorny ist Vorsitzender des Vorstands.
Ein Topmanager, eine Führungskraft, keine Frage. Ein Mitglied also der Elite? »Ich mag den Begriff Elite nicht, weil er für mich sozial gefärbt ist«, sagt Gorny, kaum dass er sich in seinen schweren Ledersessel hat fallen lassen. »Gerade die Sozialdemokratie müsste doch wissen, dass die so genannten Führungseliten immer noch hochgradig aus entsprechend elitären, will sagen: sozial hoch gestellten Schichten kommen – das hat eben nicht nur mit Intelligenz zu tun.«
Gorny hat kein Problem damit, als »Führungskraft« bezeichnet zu werden: »Ich gehe fest davon aus, dass gesellschaftliche Bewegungen immer von Einzelpersonen angestoßen werden. Das hört sich jetzt sehr elitär bis arrogant an – aber es ist so.« Was Gorny an der Elite-Diskussion stört, ist etwas anderes: »Wirst Du reich geboren, ist davon auszugehen, dass Dein Umfeld über entsprechende Sozialkontakte verfügt, so dass Du, wenn Du auch noch halbwegs intelligent bist, dann auch in elitäre Positionen kommen kannst.«


Schaut man in älteren Fremdwörterlexika nach, wird Elite mit »Auslese der Besten« übersetzt. Das Wort ist französischen Ursprungs und wanderte über Österreich in den deutschen Sprachraum ein. Heute könnte man für Eliten schlicht Führungskräfte sagen. Eliten verfügen über eine Position, in der sie auf gesamtgesellschaftliche Prozesse dominierenden Einfluss nehmen können.
Ob man zu den Führungskräften gehört oder nicht, entscheidet zum einen die Stellung im Produktionsprozess. Als Manager oder Aufsichtsratsmitglied, als Justiziar eines großen Unternehmens, Chefingenieur, Bankier, Logistiker oder Unternehmensberater übt man im Produktionsprozess Kommandogewalt über Lohnabhängige aus. Man darf sich als Motor der Gesellschaft fühlen und stellt Forderungen an die Politik – die von der Auflösung der Flächentarifverträge bis zur Errichtung von Eliteuniversitäten reichen. Zum anderen gibt es die Elite, die es in die Staatsapparate verschlagen hat: in der Politik, der Justiz, an der Spitze der öffentlichen Verwaltung und erst recht im Bildungssystem übernimmt sie herrschaftssichernde Staatsarbeiten und vermittelt den Interessensausgleich zwischen den privatwirtschaftlichen Eliten.
Das Selbstbild der modernen Eliten als »Leistungseliten«, die sich allein durch herausragende Qualitäten und Talent legitimieren, wird kaum hinterfragt. Im Gegenteil, in Lifestyle-Magazinen oder den Wirtschaftsteilen der großen Tageszeitungen wird immer wieder der entschlussfreudige Unternehmer als das Leitbild einer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft beschworen. Michael Hartmann, Professor an der TU Darmstadt, lässt sich davon nicht beeindrucken. Seine Studien zum »Mythos von den Leistungseliten« untersuchen die Mechanismen, nach denen sich Eliten reproduzieren. »Es gibt tatsächlich Leute, die auf Grund von Talent oder einer herausragenden Leistung mehr Erfolg haben als andere«, resümiert er im Gespräch. »Ein Spitzensportler zum Beispiel gehört aber nicht zur Elite.Wenn er sich verletzt, ist er draußen, spielt für sein Metier keine Rolle mehr. Zur Elite gehört Kontinuität und soziale Geschlossenheit.«


Auf dem Hinweisschild im Hauptgebäude der Kölner Uni steht schlicht: Der Rektor. Wer dem Hinweis folgt, geht durch eine moderne Glastür und schreitet eine Ahnengalerie ab. Ehemalige Rektoren der Universität zu Köln sind in Öl gebannt und schwer gerahmt. Kleine Messingschilder verraten Namen und Dienstdauer der Magnifizenzen. »Meine Sekretärin wollte gerne bei der Anrede Magnifizenz bleiben«, erzählt Tassilo Küpper, seit April 2001 Rektor der Kölner Uni. »Es gibt viele Leute, denen der Titel ganz ungezwungen über die Lippen geht, andere finden das kurios. Ich messe dem keine große Bedeutung bei.«
Der Mittfünfziger ist Professor der Mathematik. Fragen beantwortet er mit Bedacht, Impulsivität ist seine Sache nicht. Die wachen Augen hinter der dezenten Brille verraten, dass er aufmerksam zuhört und nachdenkt, bevor er spricht. Am Revers seines dunkelblauen Jacketts hat er die Anstecknadel angebracht, die für Köln als Kulturhauptstadt wirbt. Der Stadt Köln fühlt sich der gebürtige Düsseldorfer sehr verbunden, die Frage, ob er zur städtischen Elite gehört, scheint ihn kurz zu irritieren: »Das weiß ich nicht. Es steht mir auch gar nicht zu, mich dazu zu äußern.« Seine Zurückhaltung begründet er mit dem negativen Anstrich, den vor allem das Adjektiv elitär habe: »Elitär drückt eine Geisteshaltung aus, etwas, das man für sich in Anspruch nimmt. Wichtig ist jedoch das Handeln der Menschen.« Vom vorliegenden Konzept der Elite-Hochschulen hält er nichts, das sei zu unausgereift.
Tassilo Küpper ist nicht nur Uni-Rektor, er ist Mitglied im Ehrenrat des Kölner Stadtrats und in etlichen anderen Gremien, die das wissenschaftliche, wirtschaftliche und soziale Gefüge Kölns entscheidend beeinflussen. Mit ihm zusammen sitzen in diesen Zirkeln Männer mit klangvollen Namen, die die Frage nach der Zugehörigkeit zur städtischen Elite sicher weniger bescheiden beantwortet hätten. Allein die Besetzung des Kuratoriums der Uni, dem Küpper mit Oberbürgermeister Fritz Schramma gemeinsam vorsteht, liest sich wie ein kleines Who is Who der Einflussreichen: Albert Caspers, Aufsichtsratsvorsitzender der Ford-Werke und FC-Präsident; Alfred Freiherr von Oppenheim, Bankier und IHK-Präsident; Regierungspräsident Jürgen Roters; Gustav Adolf Schröder, Vorstandsvorsitzender der Stadtsparkasse Köln – um nur einige zu nennen. »Ich glaube, eine Gesellschaft braucht Führungskräfte und in diesem Sinne auch Eliten – ein Kreis, der bereit ist, besondere Leistungen zu erbringen und Verantwortung zu übernehmen«, sagt Küpper, »aber wir sollten uns trennen von einem Elitebegriff, der von sozialer Herkunft ausgeht. Das ist nicht mehr zeitgemäß.«
Wenn Tassilo Küpper an seinem großen alten Schreibtisch sitzt, hängen in seinem Rücken der Philosoph Max Scheler, porträtiert von Otto Dix, und Konrad Adenauer, »der ist neu hier, seit drei Jahren. Das war ein Geschenk der Familie Adenauer«, erzählt er. Adenauer hat 1919 die Universität, die 1798 durch die Franzosen geschlossen worden war, als städtische Hochschule wieder gegründet. Auf ihn geht auch die Idee des Kuratoriums zurück, dem er als Erster vorsaß. »Wir wollen uns aber nicht hinter den Traditionen verstecken«, sagt Tassilo Küpper, »wir wollen in der Stadt anerkannt sein wegen unserer Leistung.«
Was man heutzutage mit dem Wort Eliten umschreibt, waren im vorindustriellen Köln die Gaffeln. 400 Jahre lang, vom 14. bis ins ausgehende 18. Jahrhundert, setzten sie die Maßstäbe für Politik, Wirtschaft und Kultur der Freien Reichsstadt. Die in den Gaffeln verbündeten Kaufleute und Gewerbetreibenden hatten hart um ihre Rechte kämpfen müssen, denn bis dato wurde die Stadt von 15 angestammten Patrizierfamilien beherrscht. Sie stellten die Bürgermeister sowie sämtliche Mitglieder des Rates und der Gerichtsbarkeit. Seit der berühmten Schlacht von Worringen, die 1288 zur Vertreibung des zuvor allmächtigen Erzbischofs geführt hatte, regierten sie innerhalb der Stadtmauern beinahe unumschränkt. Ihr Sturz durch die Gaffeln kam damals durchaus einer Revolution gleich. Immerhin wurde ein ständisches System durch ein – bedingt – bürgerliches abgelöst.
Das wichtigste Machtinstrument der neuen Herren wurde der so genannte Verbundbrief, eine neue Stadtverfassung, die am 14. September 1396 in Kraft trat. Fortan bestand der Kölner Rat aus 49 Mitgliedern. 36 davon stellten die Gaffeln, die restlichen 13 wurden praktischerweise von jenen 36 hinzugewählt. Einfache Handwerker, Hilfsarbeiter und alle Frauen waren von vornherein nicht gaffelfähig, so dass sich der Kreis der Wählbaren auf etwa ein Zehntel der Bevölkerung beschränkte. Und von diesen wurden natürlich nur die angesehensten, sprich: reichsten Kandidaten in den Rat geschickt. Über den Umweg der Gaffelmitgliedschaft gelangten deshalb auch jene Patrizier wieder an die Stadtspitze, die man gerade noch von ihren Sesseln vertrieben hatte.
Eliten zeichnen sich aus durch die Bündelung von Eigentum, wirtschaftlicher und politischer Macht. Letztlich funktionieren sie jedoch nicht anders als jede Ossendorfer Straßengang. Der Zusammenhalt wird durch Verschwiegenheit und gegenseitige Unterstützung garantiert. Die 22 Gaffeln der Stadt waren geschlossene Systeme. Ihre Satzungen unterlagen keiner städtischen Kontrolle, weitreichendere Forderungen passierten problemlos den Rat, weil man dort ja seine Vertreter und Allianzen hatte. Mit anderen Worten: Wer in Köln Brauer, Weber oder Stoffhändler werden durfte, bestimmte einzig und allein die jeweilige Gaffel. Die Folge war eine politische und wirtschaftliche Inzucht, die einer Elite von Großbürgern über Jahrhunderte Macht und Reichtum sicherte. Kein Wunder, dass eine der ersten Bitten des Rates an die französischen Besatzer die glorreiche Stadtverfassung betraf: Man möge sie doch um Gottes Willen nicht antasten. Kein Wunder auch, dass sich Napoleons Stellvertreter nicht darum scherten. Am 5. September 1797, drei Jahre nach dem Einmarsch, wurde der Verbundbrief Geschichte.


Wer wissen will, wie Eliten sich heute reproduzieren, der muss einen Blick auf das Bildungssystem werfen. Dort findet man zum Beispiel die französische École Nationale d’Administration (ENA): »Sie entlässt nur etwa 150 Absolventen pro Jahr. Aber ein Drittel der Spitzenplätze bei den hundert größten Unternehmen Frankreichs, zwischen 30 und 70 Prozent in den Chefetagen der staatlichen Verwaltungen, gut die Hälfte aller Ministerpräsidenten und zwei Drittel aller Staatspräsidenten werden von ehemaligen ENA-Studenten besetzt«, sagt Elitenforscher Michael Hartmann. In Japan ist es die juristische Fakultät der kaiserlichen Todai Universität, die jeder zweite Premierminister besucht hat. In Amerika studieren die zukünftigen Spitzenkräfte an Ivy-League-Universities wie Harvard oder Yale. Während in Japan oder Frankreich der Zugang über harte Auswahlverfahren geregelt wird, bei denen der sozialen Herkunft auf Grund persönlichkeitsgebundener Auswahlkriterien ein großes Gewicht zukommt, zählt in den USA sehr viel stärker das Geld. An der Harvard-Universität muss man für ein Jahr 40.000 Dollar Studiengebühren berappen, das entspricht ungefähr dem us-amerikanischen Durchschnittseinkommen.
Und Deutschland? Michael Hartmann fasst die Unterschiede zusammen: »Wir haben keine Institution, deren Abschlüsse eine Wirksamkeit haben, wie das in den USA, England, Frankreich oder Japan der Fall ist. Aber es gibt eine Vorauswahl: ein dreigliedriges Schulsystem. In Japan machen 95 Prozent Abitur, in Deutschland nur 36. Das hiesige Hochschulsystem selektiert dagegen nur in relativ geringem Umfang, entscheidend ist die Selektion nach der Universität. Sie ist gebunden an bestimmten Verhaltensformen, an einen bestimmten Habitus. In der Wirtschaft werden die Leute danach ausgewählt, ob sie so sind wie die, die sie einstellen. In den Vorstandsetagen sitzen zu 80 Prozent Bürgerkinder, und die rekrutieren instinktiv Leute mit dem gleichen Stallgeruch. Dieser Auswahlprozess lässt sich empirisch eindeutig nachweisen, er spitzt sich in den letzten Jahrzehnten sogar zu.«


Dass eine »elitäre« Herkunft hilft, weil sie Verhalten und Kontakte prägt – vielleicht hat Viva-Chef Dieter Gorny ein starkes Gespür dafür, weil es bei ihm selbst anders war. »Ich komme aus einem typischen Arbeiterumfeld, hab dann untypisch eine Gymnasialkarriere gemacht – was für meine Eltern spricht, die das gepusht haben«. Es folgten, unter anderem, ein Musikstudium, das Wuppertaler Symphonie-Orchester, ein Lehrauftrag an der Gesamthochschule Essen, das Rockbüro NRW, die Popkomm und 1993 dann Viva.
»In den Medien kann man leichter quer einsteigen, der Bereich ist etwas durchlässiger«, sagt Gorny. Die gedämpfte Steifheit großindustrieller Führungsetagen liegt dem 50-Jährigen auch persönlich fern; Gorny trägt Ohrring, Sieben-Tage-Bart, offenes Hemd, lehnt sich in seinem Sessel weit zurück, redet laut und mit den Händen. »Andererseits gibt es aber in den deutschen Medien so viele Führungskräfte gar nicht.« Und in den großen DAX-Unternehmen säße eben kaum ein Vorstandvorsitzender mit »untypischer sozialer Herkunft«.
Welchen Einfluss auf das Leben in der Stadt Köln hat der Viva-Chef? Keinen großen, behauptet Gorny selbst, »ich bin niemand, der in diesem Kölner Netzwerk eine Rolle spielt – auch wenn jetzt vielleicht andere Leute sagen würden: Das stimmt doch nicht.« Verantwortung habe er vor allem für das Unternehmen mit rund 600 Mitarbeitern. Einfluss, sagt Gorny, sei auch nicht sein Antrieb: »Dass man in so einer Position machttrunken durch die Gegend torkelt, das ist Quatsch. Man spürt, dass man im Hotel netter behandelt wird – aber das sind elitäre Äußerlichkeiten«.
Warum dann also der Ehrgeiz, warum der lange und untypische Weg des Quereinsteigers Dieter Gorny zum Vorstandsvorsitzenden? »Ich hab immer etwas schaffen wollen – ob ich jetzt Streichquartette komponiere oder einen Fernsehsender mache. Man hat etwas hingestellt, was es sonst nicht gäbe.«


Die Auswahl von Führungskräften in der Stadt Köln veränderte sich mit der Machtübernahme der Preußen nach Napoleons Abzug. Mit der beginnenden Industrialisierung wandelten sich auch die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der Stadt drastisch. Häusliche Kleinbetriebe, die Generationen überdauert hatten, gingen ein. Massenelend war die Folge. Um 1817 war fast die Hälfte aller rund 50.000 Kölner auf Almosen angewiesen, viele verhungerten. Ein Großteil der alten Elite jedoch überstand Franzosen wie Preußen schadlos. Wer die Zeichen der Zeit erkannte, legte im frühen 19. Jahrhundert den Grundstein für den bis heute andauernden Einfluss seines Geschlechts. Die Namen der Firmen, die zwischen 1800 und 1850 aus den Startlöchern kamen, lesen sich wie ein Who ist Who auch der jüngsten Kölner Geschichte: Felten & Guillaume begann mit der Produktion von Drahtseilen, Franz Stollwerck begründete die gleichnamige Mürbebäckerei, der Duftwasserfabrikant Mülhens erwarb das Recht, erstmals »Echt kölnisch Wasser« zu mixen. Auch das Bankhaus Oppenheim entwickelte sich zu einem Motor dieser Gründerzeit. Mit der Übernahme der bald sehr erfolgreichen »Kölnischen Zeitung« machte die Verlegerdynastie DuMont Schauberg ihren ersten großen Sprung, und ein ärmlicher Straßensänger und Bauchredner namens Millowitsch erbettelte sich die Konzession für ein kleines Theater.
Die Zeit der patriarchalischen Familienbetriebe ist heutzutage beinahe abgelaufen. Ausgeklügelte Wirtschaftsmodelle verschleiern zumeist die wahren Besitzverhältnisse. Wie groß der Einfluss dieser Oberschicht jedoch auch heute noch ist, musste zum Beispiel vor einigen Jahren der Filmemacher Peter Kleinert feststellen, als er einen Film über das DuMontsche Medienmonopol in Köln drehen wollte. Von Dutzenden angesprochener Prominenten fand sich keiner bereit, zu diesem Thema vor die Kamera zu treten. Er hätte mit einem karrieretötenden Pressebann rechnen müssen.
Mit der wirtschaftlichen eng verflochten ist wie eh und je die politische Spitze der Stadt. Jahrzehntelang regierte hier die SPD und teilte sich alle lukrativen Posten der Kommune mit der CDU. Erst der Fall des designierten Oberbürgermeisters Heugel (wegen Aktien-Insidergeschäften in Zusammenhang mit einer Firmenübernahme) und in der Folge der verheerende Skandal um Parteispenden und Schmiergelder beim Bau der Müllverbrennungsanlage gewährten der Öffentlichkeit tiefere Einblicke in den Kölner Filz.
Bei der Besetzung von öffentlichen Ämtern und Ratsstellen geben nicht Verdienst und Rechtschaffenheit den Ausschlag, sondern lediglich Geld und »Konnexionen«, schrieb kurz nach 1750 der kaiserliche Resident Hermann Werner Bossart. »Fast jeder, dem es gelänge, ein solches Amt zu erwerben, suche sich auf Kosten der Stadt schadlos zu halten und sich zu bereichern« , zitiert ihn der Kölner Historiker Carl Dietmar. Manche Namen sind seit Bossarts Zeiten hinzugekommen. Geändert hat sich wenig.


»Die aktuelle Entwicklung der Eliten läuft auf eine Entdemokratisierung hinaus, am stärksten merkt man das an einer Entparlamentisierung«, warnt Michael Hartmann. »Indem der Großteil der Gesellschaft den Eindruck gewinnt, er habe sowieso keinen Einfluss mehr, zieht er sich auch aus dem politischen Geschehen zurück. Darunter leiden nicht nur die Alternativbewegungen, sondern auch die Gewerkschaften und nicht zuletzt die Volksparteien, deren Massenbasis erodiert. Die Tendenz ist, dass Politiker und Unternehmer zunehmend aus dem selben sozialen Milieu stammen, was früher nicht der Fall war.«
Was stattfindet, hat der kürzlich verstorbene Politikkritiker Johannes Agnoli bereits 1967 als »Transformation der Demokratie« bezeichnet: Die privatwirtschaftlichen Verhältnisse greifen auf die Politik über, die Masse der Menschen wird auch politisch enteignet und die Öffentlichkeit entmündigt. Michael Hartmann: »Betrachtet man die politische Szenerie Berlins, dann spielt Frau Christiansen mit ihrer Sendung für uns das Ersatzparlament, während im wirklichen Parlament kaum noch Politik gemacht wird. Die wird immer mehr in Räte von Sachverständigen verlagert, Gremien, in den Leute aus der Wirtschaft und Politiker direkt aufeinander treffen.«
Ende der 60er Jahre setzte die Bildungsreform ein und der frische Bundeskanzler Willy Brandt versprach, »mehr Demokratie zu wagen«. Es sei die große Illusion der Sozialdemokraten gewesen, so Hartmann, durch die Neuordnung des Bildungssystems auch die gesellschaftlichen Machtpositionen nachhaltig zu ändern. Diese Illusion kommt spätestens heute, in der zweiten Legislaturperiode von Rot-Grün, an ihr Ende.


Literatur:
Michael Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft. Campus Verlag Frankfurt, 2002, 208 S., 19,90 €

Carl Dietmar: Kölner Mythen – oder wie Legenden entstehen.
Bachem Verlag Köln, 1999, 144 S., 7,95 €