Horror vacui

Mit »Elephant« und »Monster« kommen zwei idealtypische Filme über das Böse in die Kinos

»Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.« Dieser Aphorismus Friedrich Nietzsches könnte als Motto über manchen Film des Serienmörder-Genres stehen. Der Ermittler, der sich in die Haut des Killers versetzt und daran fast zerbricht, gehört zu den festen Größen in dessen Figurenrepertoire, so wie es meistens eine ausgemachte Sache ist, dass der Mord als Kunst betrachtet wird. Das Tröstliche an diesen Filmen ist, dass es überhaupt etwas zu verstehen gibt und wir vor dem Bösen nicht die kognitiven Waffen strecken. Was wäre schlimmer, als in den Abgrund blickend ins Bodenlose zu fallen und stürzend zu bemerken, wie uns der namenlose Schrecken langsam aushöhlt?
Für Hollywood ist der Serienmörder paradoxerweise so etwas wie die letzte Bastion des Glaubens vor dem Nihilismus. Wenn wir die Welt und die Existenz des Bösen schon nicht erklären können, so lässt sich an seinem Beispiel doch immerhin begreifen, wie der Einzelne zur Verkörperung des Bösen wird (oder zumindest welcher Logik seine Taten folgen).
Auch Patty Jenkins bedient sich in »Monster«, einer Verfilmung der Lebensgeschichte der 2002 hingerichteten Serienkillerin Aileen Wuornos, dieses Musters und fügt dem klassischen Profil des Kindheitstraumas, das sich seine mörderische Bahn bricht, noch eine feministische Note sowie einen Hauch Bonnie & Clyde-Romantik hinzu. Bezeichnenderweise hat Jenkins von den beiden Versionen, die die reale Aileen Wuornos (dargestellt von einer kaum wiederzuerkennenden Charlize Theron) von ihren Taten geliefert hat, diejenige ausgewählt, die sich mehr oder minder selbst erklärt: Wuornos erster Mord ist ein Akt der Notwehr, später beraubt und tötet sie ihre Opfer, um mit ihrer Freundin Selby (Christina Ricci) ein neues Leben anfangen zu können.
Im Grunde ist »Monster« weniger ein Thriller als die Geschichte einer zum Scheitern verurteilten Liebe, so menschlich erscheint einem Wuornos’ verzweifelte Sehnsucht nach Geborgenheit. Mit jedem Bild dementiert Jenkins gleichermaßen absichtsvoll wie überzeugend den Titel ihres Films.
Während Patty Jenkins in bewährter Manier den Horror vacui, die Angst vor der Leere bannt, hat Gus Van Sant in »Elephant« dem Nihilismus Tür und Tor geöffnet. Sein an den Ereignissen des Schulmassakers von Columbine angelehnter Film verhält sich zu »Monster« wie dessen idealtypischer Gegensatz: Die Handlungen der Figuren erscheinen weitgehend unmotiviert (als Vorbote des Massakers erklingt Beethovens »Für Elise«), die jugendlichen Darsteller sind durchweg Laien, und an die Stelle einer biografischen Herleitung tritt die bloße Chronologie der Ereignisse. Mit diesem konstantierenden Gestus entspricht »Elephant« genau dem diffusen Bild, das wir vom Amokläufer und seinem plötzlichen Auftritt haben. Seine Tat kommt wie aus dem Nichts und erscheint als unverhältnismäßiger und letztlich unerklärlicher Exzess.
»Elephant« besteht hauptsächlich aus langen Kamerafahrten, die verschiedene Schüler, meist mit dem Rücken zur Kamera, auf dem Weg durch die scheinbar endlosen Gänge ihrer High School zeigen. Hin und wieder begegnen sie anderen Schülern, die später als Protagonisten einer eigenen Kamerafahrt noch einmal auftauchen. Streng genommen passiert in den etwa fünfzehn Minuten erzählter Zeit nichts, was des Zeigens wert wäre – bis die beiden Amokläufer auf den Plan treten. Eine perfide Spannung entsteht dadurch, dass man sie durch die verschiedenen Perspektiven gleich mehrfach ins Schulgebäude gehen sieht und jedes Mal das kommende Unheil aufgeschoben und zugleich annonciert wird.
Auch wenn Gus Van Sant Anleihen beim Dokudrama macht, so ist sein Film doch mindestens ebenso sehr inszeniert wie der von Patty Jenkins. Das eigentliche Thema von »Elephant« ist die sorgsam konstruierte Normalität der High School, jene Mischung aus seelenlosen Fluren, leeren Schüleraugen und Kamerablicken in einen von Wolken verhangenen Himmel. Keiner kommt hier lebend raus, weil alle innerlich schon tot sind: Ein Junge weint still vor sich hin, ein Mädchen schleicht sich verschämt aus dem Sportunterricht, drei Freundinnen erbrechen ihr Mittagessen synchron auf der Toilette.
Nicht nur die beiden Amokläufer sind in »Elephant« Entfremdete, die Jugendlichen erscheinen insgesamt als verlorene Generation. Manchmal sind deshalb die Untiefen einer Larry Clark’schen Vorhölle nicht weit, doch letztlich verhindert Van Sants ausgeprägtes Formbewusstsein den Absturz in die reine Projektion. Wenn wir einem der Täter über die Schulter sehen, während er sich routiniert an einem Ego-Shooter-Videospiel versucht, wird die »neutrale« Inszenierung schlagartig verständlich: Die menschlichen Zielscheiben bewegen sich in einem leeren Rahmen, den Rücken zur Kamera gekehrt, und es scheint, als könne man die Innenräume der Schule bruchlos in diese Welt hineinkopieren. Am Ende ist Gus Van Sant doch ein wenig pädagogisch: Es ist die Gefühllosigkeit, die Monster gebiert.

Elephant (dto) USA 03 R: Gus Van Sant, D: Alex Frost, Eric Deulen, John Robinson, 81 Min. Start: 8.4.
Monster (dto) USA 03, R: Patty Jenkins, D: Charlize Theron, Christina Ricci, Bruce Dern, 111 Min. Start: 15.4.