Remix als Denkweise und Methode

Mouse On Mars haben mit einer Frage eine Ausstellung initiiert: »Warum übersetzt der Remix immer nur Musik in Musik?« Über 30 Künstler und Wissenschaftler zeigen in »Doku/Fiction – Mouse On Mars reviewed & remixed«, wie man eine Band in Kunst übersetzt. Peter Scharf hat die Düsseldorfer Kunsthalle besucht

 

Mitte der 70er Jahre hat der ehemalige Werbemanager und DJ Tom Moulton eine bahnbrechende Idee. Er lässt sich die Mastertapes bereits veröffentlichter Soul-Stücke geben und bearbeitet sie noch einmal neu. Oder genauer gesagt: Er frisiert sie so, dass sie ideal den Anforderungen der neu entstehenden Discos und Clubs in den amerikanischen Metropolen genügen. Er arbeitet die Rhythmuselemente deutlicher und kräftiger heraus und verlängert einzelne Breaks oder Melodie-Teile. Der so entstandene neue Track schreibt von nun an unter dem Begriff »Remix« Pop- und speziell Dancefloor-Geschichte.
In den 70er Jahren ist der Remix das rasende Herz des Disco-Booms. In den 80ern hält er sich auf vielen B-Seiten von Elektro-Pop-Bands wie den Pet Shop Boys oder Depeche Mode. Mit dem Siegeszug von House und Techno in den 90er Jahren kommt das Prinzip Remix zu seinem Höhe- wie Endpunkt. Es entsteht eine paradoxe Situation: Einerseits wird eine Musik produziert, die perfekt allen Erfordernissen der Club-Kultur genügt und somit keiner neuen Bearbeitung im Sinne von höherer Leistungsfähigkeit mehr bedarf. Andererseits remixen Musiker und DJs mit geradezu missionarischem Eifer alles und jeden – einschließlich sich selbst. Der Remix legitimiert sich nun nicht mehr durch die Verschiebung musikalischer Vorzeichen – Radio-Musik versus Club-Musik, Pop versus. Dance etc. –, sondern vielfach allein durch die Tatsache, dass er technisch ohne großen Aufwand möglich ist.

»Doku/fiction«

Nach über 15 Jahren im Zeichen neuer elektronischer Pop-Musik gibt es inzwischen nichts, was langweiliger, nervtötender und obsoleter ist als das, was unter dem Begriff »Remix Album« in die Plattenläden geschaufelt wird. Das wissen auch der Kölner Jan Werner und der Düsseldorfer Andi Thoma. Als Mouse On Mars arbeiten sie seit 1994 in genau den pop-elektronischen Umfeldern, die mithilfe des Remix eine Weg gefunden haben, die Verwertungskette einmal gemachter Aufnahmen preiswert zu verlängern. Doch statt den Remix endgültig zu beerdigen, befreien Mouse On Mars ihn von seinen Fesseln, in dem sie eine Frage stellen, die im Rahmen des allgegenwärtigen Kunst-Pop-Crossovers schon längst mal hätte gestellt werden müssen: »Warum übersetzt der Remix eigentlich immer nur Musik in Musik?« Und was käme dabei heraus, wenn es mal anders wäre? So befragte das Duo über 30 Künstler und Wissenschaftler zu ihren Vorstellungen und Bezügen zu Mouse On Mars. Eine Einladung, die Band mit den jeweils eigenen Mitteln zu remixen.
Herausgekommen bei dieser ziemlich einmaligen Unternehmung ist eine Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle: »Doku/fiction – Mouse On Mars reviewed & remixed«. Begleitet von einem gleichnamigen Sammelband, in dem die beteiligten Künstler und Wissenschaftler jene Werke oder Werkskizzen präsentieren und kurz erläutern, mit denen sie auf das Schaffen von Mouse On Mars reagiert haben. Diesem Sammelband ist wiederum eine CD beigefügt, mit der sich nun Mouse On Mars ihrerseits mit den Arbeiten der Künstler auseinandersetzen. Sich also an den Re-Remix gemacht haben.

Auf den Kanarienvogel gekommen

Wer die Düsseldorfer Ausstellung betritt, ist dennoch erst einmal überrascht, wie wenig Mouse On Mars man für sein Geld erhält. Fast keine Musik, keine Videos – die Band ist praktisch nicht präsent. Wohl auch deshalb nicht, um dem Vorwurf zu entgehen, sich hier selbst auf’s Podest zu stellen. Kauft man nicht den erwähnten Sammelband, der auch als Ausstellungs-Katalog fungiert, kann man sich mit Hilfe eines ausliegenden
Info-Zettels oder einem einführenden Film eine Vorstellung darüber verschaffen, was die Kunstwerke wohl mit der Band zu tun haben. Da praktisch keine Vorgaben an die Künstler gemacht worden sind – außer natürlich die, um Himmels willen nicht bloß die Musik zu »bebildern« – verweisen die Werke auf alle nur denkbaren Aspekte im zehnjährigen Schaffen der Gruppe.
»Out Of The Blue« – eine von drei Videoarbeiten der Berlinerin Heike Baranowsky – zeigt einen zunächst unberührten blauen Himmel über einer amerikanischen Wüstenlandschaft. Über einen kurzen Zeitraum entwickeln sich kreisförmige Kondensstreifen, die bald danach wieder verschwinden. Die Kondensstreifen stammen ursprünglichen von einem Foto mit F19-Bombern, die über Afghanistan kreisend ihre Spuren hinterlassen haben. Die politischen Implikationen sind für die Ausstellung weniger entscheidend, es geht um die verwendeten Techniken: Den Loop, das Sampling, die Rhythmisierung; typische Elemente aus dem Chemie-Baukasten von Mouse-On-Mars.
Ganz anders die Bezugnahme beim Kölner Leif Trenkler: Sein monumentales, mehr als zehn Meter breites Gemälde »Hyde Park mit rotem Kanarienvogel« lässt sich von links nach rechts ablaufen und wie eine zeitlich lineare Komposition erleben. Elemente und Personen tauchen zum Teil in veränderter Form wieder auf, wie musikalische Motive in einem Song.

Memories remixed

Ebenfalls in Öl: Zwei Gemälde des in Köln lebenden Künstler-Duos Alice Stepanek und Steven Maslin. Das eine zeigt eine Blumenwiese, deren Vielgestaltigkeit auf den Stilreichtum in der Musik von Mouse On Mars verweist. Auf dem zweiten Bild sind konzentrisch nach oben zulaufende Baumkronen zu sehen. Die Baumkronen sind allerdings verwischt, als ob sie mit großer Geschwindigkeit rotieren würden. Die traditionelle Landschafts-Malerei spielt hier mit Verfahren, die der digitalen Bildbearbeitung entliehen zu sein scheinen: Verzerrung, Morphing, Überlagerung – Arbeitsweisen, die auch in den elektro-akustischen Songs von Mouse On Mars ihren Platz haben.
Drei von rund drei Dutzend Werken, die deutlich machen: Es geht bei dieser Ausstellung um mehr als die sinnliche Inszenierung einer der bekanntesten deutschen Elektronikbands. Es geht darum zu erforschen, wie Methoden und Denkweisen zeitgenössischer Musiker mit denen zeitgenössischer Künstler korrelieren. Und es geht darum, einen Weg zu beschreiten, diesem eigentlich sehr selbstverständlichen Dialog in einem musealen Rahmen eine Plattform zu verschaffen – jenseits von leicht konsumierbaren Memorabilien-Shows wie der Punk-Ausstellung »Zurück zum Beton«, mit der die Kunsthalle noch vor zwei Jahren angemessen laut ihre Wiedereröffnung gefeiert hat.
Damals wie heute hat sich das Museum als Bühne präsentiert. Bei »Zurück zum Beton« durften diese ganz klassisch die Fehlfarben rocken. Bei »Doku/
Fiction« ist der Aufbau komplizierter und spiegelt sich in der raumgreifendsten Arbeit der Ausstellung wieder: Eine gigantische Holzkonstruktion von Silke Schatz, die auf dem Grundriss des alten
a-Musik-Ladens in der Neuen Maastrichter Straße in Köln basiert. Ein paar Quadratmeter, die als Plattenladen, Labelkonglomerat, Konzert- und Wohnraum ein wichtiger Kommunikationsort für die elektronische Musikszene gewesen sind. Der abstrakte Nachbau wird nun in der Ausstellung als Bühne genutzt, auf der während der Ausstellung die begleitenden Abendveranstaltungen stattfinden werden. So greift eine Künstlerin ihre Erinnerungen an einen historischen Ort auf, verdichtet sie zu einem Kunstwerk, dessen kommunikative Funktion selbst wieder zum Entstehen neuer Erinnerungen beiträgt. Mehr kann man vom Remix selbst im 3. Jahrtausend eigentlich nicht erwarten.

Ausstellung:
»Doku/Fiction – Mouse On Mars reviewed & remixed« bis 27.6. in der Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4, di-sa 12-19, so 11-18 Uhr.
Der gleichnamige Sammelband inklusive CD-Insert ist erschienen bei: Die Gestalten Verlag, Berlin 2004. 159 S., 25 Eur.
Alle Veranstaltungen im Tageskalender oder www.
kunsthalle-duesseldorf.de