Was guckst Du?

Vor 20 Jahren startete das Privatfernsehen in einer Garage mit 25 Mitarbeitern – im letzten Jahr war RTL der meistgesehene deutsche Fernsehsender. Wenn nach dem Umzug in die Rheinhallen 2008 das RTL-Logo auch am Kölner Messeturm leuchtet, kommt niemand mehr daran vorbei: Medienstadt Köln heißt vor allem Privatfernsehen.

Thomas Goebel hat den Kölner Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister gefragt: Was für ein Fernsehen erwartet uns in den nächsten 20 Jahren?

 

StadtRevue: Herr Hachmeister, das Privatfernsehen startete vor 20 Jahren als belächeltes Garagenexperiment, heute prägt es mit Sendern wie RTL, Viva und Vox die Medienstadt Köln. Wie sieht die Fernsehlandschaft in zwanzig Jahren aus?

Lutz Hachmeister: Nicht wesentlich anders als heute. Das Medium hat sich sehr ausentwickelt, es wird künftig eher weniger eigenständige Sender geben. Die Plätze der großen Marken sind besetzt – das sind ARD, ZDF, RTL und Sat.1, und mit ein bisschen Abstand Pro7 und der Rest der Truppe. An den Formen und Qualitäten des Fernsehens wird sich nicht viel ändern – übrigens auch nicht an den Standorten.

In Köln gibt’s aber Bewegung: Ende des Jahres kommt n-tv.

n-tv ist personell stark reduziert worden, der Sender ist ja im Grunde ein Teil der RTL-Familie, auch der Umzug hat vor allem mit Rationalisierungsmaßnahmen des Mutterhauses Bertelsmann zu tun. Da gibt es zwar in Köln erfreulicherweise Zuwachs einer Marke, aber keinen Zuwachs an Arbeitskräften oder kulturellem Potenzial.

Denkt man an das aktuelle Privatfernsehen aus Köln, fallen einem vor allem Formate wie Big Brother, Deutschland sucht den Superstar oder die Dschungelshow ein. Ist Köln die Hauptstadt des Medientrash?

»Capital of Trash TV« – das hat Helmut Dietl einmal beklagt: In Köln könne man keine qualitativ hochwertigen Produktionen situieren, weil es das Bewusstsein dafür nicht gebe. Darin ist ein Teil Wahrheit. Vielleicht war es von vornherein vermessen zu sagen, wir bauen Hollywood am Rhein – das sind diese großen Töne, für die Köln ja besonders bekannt ist, und die dann nie eingelöst werden. In Babelsberg funktioniert das inzwischen wieder verblüffend gut, »Mission Impossible 3« mit Tom Cruise wird dort gedreht – das gibt den Publicity-Effekt, den Köln sich mal gewünscht hat. Die Sender hier haben sich aber inzwischen sehr pragmatisch auf das Industriefernsehen besonnen, also Shows und Serien, die sehr standardisiert, aber auch mit hohen technischen Fähigkeiten produziert werden. Das ist der selling point von Köln, um es mal im Marketing-Deutsch zu sagen, damit hat man sich offensichtlich abgefunden.

Warum funktioniert in Köln nichts anderes?

Es müsste einen kommerziellen Sender geben, der anders strukturiert ist als die RTL-Gruppe, mit Formaten, die die Gesellschaft aufregen, aber anders als Big Brother, eher im Sinn von populärer Intelligenz, von substanziellem Fernsehen. Die Ansiedlung eines solchen Senders ist hier nicht gelungen, der Versuch ist ja mit Vox gemacht worden. Das ist in einer großen Amateurkonstellation zwischen Bertelsmann und der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei gescheitert, und Vox wurdeTeil der RTL-Familie. Ich könnte mir aber schon noch zwei, drei Projekte vorstellen für Köln, gerade im Bereich des High-Quality-Fernsehens, also Geschichte, Dokumentation, aber auch gutes Entertainment. Ich fand es immer skurril, dass wir nicht so etwas wie Discovery Channel haben, also einen privat finanzierten Dokumentarkanal.

Welche Rolle spielt das städtische Leben für die Privatsender? Dem RTL-Programm merkt man nicht unbedingt an, dass es aus Köln kommt...

Doch, das sieht man schon. RTL hat eine sehr starke Bindung an die Comedy-Szene, das ist einer der Gründe, warum es in Köln so erfolgreich war. Man merkt dem RTL-Programm diesen Gaby-Köster-Touch schon sehr an. Der DGB-Chef Michael Sommer sagte mir neulich, er fände den Arbeiter eher bei RTL wieder als bei ZDF und ARD – und da hat er sicherlich recht.

Den Kölner Arbeiter?

Auch den Kölner Arbeiter. Das ist dieser Charme des prolligen, des ruppigen Trash-Milieus. So sieht Köln ja auch architektonisch ein bisschen aus. Ich glaube, es gibt einen kulturell-mentalen Zusammenhang, der begründen kann, warum RTL und Köln so miteinander verwachsen sind – im Guten wie im Schlechten.

Prägen die Programme der Privaten also auch das Köln-Bild der Menschen?

Mehr als man denkt – die Selbstdefinition Kölns als Hochkultur-Metropole war in den 60er und 70er Jahren stärker als heute, dieses Nachlassen ist ein RTL-Effekt. RTL ist ja ökonomisch erfolgreich, und man verbündet sich gerne mit dem ökonomisch Erfolgreichen, das dazu noch prominent und politisch daherkommt. Der Kölner Oberbürgermeister würde sich wahrscheinlich öffentlich rädern und vierteilen lassen, um RTL hier behalten zu können. Es gibt diese enge Bindung, und andere Medienprojekte werden trotz Kulturhauptstadt-Bewerbung eher vernachlässigt.

Wie stark ist denn der Einfluss der Kölner Privatsenders auf den WDR? Die Zeit beklagte kürzlich mal wieder die »innere Selbstprivatisierung« der Öffentlich-Rechtlichen...

Diese These gibt es spätestens, seit die Privaten Marktführer wurden. Ich glaube, wenn man auf den WDR schaut, ist da relativ wenig dran. Es trifft sicher auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen insgesamt zu, dass es die berühmte Annäherung gibt, das ist unvermeidlich, es gibt nur ein Publikum. Wir beobachten aber in letzter Zeit eher das Gegenteil, eine Renaissance der öffentlich-rechtlichen Sender – sowohl in den Marktanteilen als auch im gesellschaftlichen Ansehen. Das Publikum kehrt wieder sehr stark zurück zu Dokumentationen, zu gesellschaftlicher und historischer Aufklärung, wenn auch manchmal im Entertainment-Gewand. Der Zug geht in Richtung einer radikalen Zweiteilung des Programms: die so genannten Event-Formate auf der einen Seite – auf der anderen Seite sehr teuer und seriös gemachtes Fernsehen.

Die Privaten sind für Trash, die Öffentlich-Rechtlichen für’s Seriöse zuständig?

Ich glaube, dass dieser Dualismus die Grenzen von privat und öffentlich-rechtlich überschreiten wird. Man sieht schon Anfänge: Galileo bei Pro7 zum Beispiel ist ein sehr sorgfältiges, teures Wissensmagazin, sozusagen die Sendung mit der Maus für Erwachsene. Das kommerzielle Fernsehen wird immer mehr davon machen müssen, um werberelevante Zielgruppen zu behalten. Wenn RTL so weitermacht wie jetzt, wird es an dem eigenen Erfolg verenden, irgendwann sind die Superformate ausgereizt, irgendwann wird das selbst dem gutmütigsten RTL-Fan zu langweilig.

Auch die Privaten brauchen für Qualitätsfernsehen gute Journalisten. Der Umzug von n-tv nach Köln ist aber mit weiteren Entlassungen verbunden. Sind die Medienarbeiter der Zukunft lauter Ich-AGs, die im Konkurrenzkampf um die wenigen Sender die Preise drücken?

Wir haben gerade eine Phase der großen Verunsicherung im professionellen Journalismus hinter uns. Jungen Leuten in Köln wurde über Gebühr gesagt: Geht in die Medienwirtschaft, werdet Mediendesigner und -gestalter, und dann wollte die keiner einstellen. Künftig wird sich aber eine vernünftige Mischung aus Festangestellten und freien Mitarbeitern herstellen, wie sie der WDR schon seit Jahrzehnten pflegt – wenn auch noch mit vielen Privilegien für freie Mitarbeiter, die sich so vielleicht nicht mehr durchhalten lassen. Man braucht einfach Leute, die sich in bestimmte Gebiete über längere Zeit einarbeiten.

Was bedeutet das zum Beispiel für TV-Produktionsfirmen?

Dass man noch schärfer auf die Kalkulationen gucken muss, aber auch selbstbewusster gegenüber den Sendern auftritt, also auch mal sagt: Leute, für den Preis kann ich euch das Projekt nicht herstellen, ihr wollt einen Ferrari haben und bezahlt einen Beatle Cabrio, ich kann euch den Beatle Cabrio liefern, aber nicht den Ferrari.

Wie ist insgesamt Ihre Prognose für die Fernsehstadt Köln?

Köln hat eine sehr gute Ausgangsposition, man muss nur schöpferisch genug sein, um neue Projekte zu erkennen und zu akquirieren. Man wird mehr aus dem Zwischenfeld von Medien und Kunst schöpfen können, wo die Stadt von ihrer Geschichte her sehr starke Wurzeln hat, auch spektakulärere Ausstellungen und öffentliche Projekte, um das Signet Köln stärker leuchten zu lassen. Man kann es auf die Grundformel bringen, dass man jetzt stärker in Qualitäten investieren muss – und nicht mehr so sehr in den Beton, in die Infrastruktur.

Qualität als Zukunftskonzept?

Ja, und zwar in allen Genres. Das geht von der schrillen Comedy bis zum teuren Spielfilm – das heißt eben nicht, dass man nur auf seriöses Graubrot-Fernsehen setzt. Qualität geht über solche Regelangebote hinaus, es ist so wie beim Kochen: Es gibt die Haute Cuisine und die einfache Küche. Man muß beides können.


Ein Rückblick auf 20 Jahre Prvatfernsehen in Köln und eine Reportage aus Kölns erfolgreichstem Medienviertel an der Schanzenstraße in Mülheim stehen in der aktuellen StadtRevue!