Wolf Eyes

Die Bilder von Wassily Kandinsky hängen heute als Kunstdrucke in Kinderzimmern, die literarischen Techniken James Joyce’ beherrschen schon die Schüler der Mittelstufe, was vor fünfzig Jahren konkrete oder konstruktive Kunst hieß, ist mittlerweile ein beliebtes Einrichtungsaccessoire von Ikea. Die Avantgarde von früher ist heute überall, nur mit der Musik hapert es: Schönberg, ein Zeitgenosse Kandinskys, gilt immer noch als saukompliziert, und über John Cage redet man lieber, als dass man ihn hört.

 

Natürlich, es hat sich ein bisschen was getan in Sachen non-funktionaler Musik. Der Kult um das Detroiter Ultra-Noise-Trio Wolf Eyes steht dafür exemplarisch: Ihr Sound ist amorph, antidynamisch und aggressiv unberechenbar. Man kann noch nicht mal sagen, es sei Dauerlärm, dafür fällt das Terrorgekreische zu häufig in sich zusammen und verliert sich in bröseligem Brummen und Fiepsen. Ist das jetzt maximal kompromisslos oder einfach nur wurschtig? Für Nate Young, John Olson und Jim Baljo gelten keine Konventionen, sie wüten im Nirgendwo des unendlichen Chaos, in dem die Umwertung aller Werte schon immer stattgefunden hat.

 

Dennoch: die Band, deren Output unüberschaubar ist, existiert seit fast zwanzig Jahren, und sie waren nie bloß der Arty-Farty-Gag einer Saison. Wovon sie profitieren — und nicht nur sie, sondern eine ganze Generation von Freak-Out-Combos —, ist tatsächlich keine musikimmanente Entwicklung, sondern ein Art Transfer aus der Welt der bildenden Kunst. Denn wenn man Wolf Eyes nicht unter romantischen Aspekten hört (als Ausdruck von Entfremdung und Frustration) — eine Spur, die nirgendwo hin führt, weil das Trio, wie gesagt, viel zu unberechenbar und quallig tönt —, sondern als Happening begreift, als temporäre Installation, ergibt alles schlagartig Sinn: Dann öffnen sich in dem Chaos Räume, durch die man sich voller Angstlust zwängen kann, sind es grelle Farben, die man aber hört, entspricht die nihilistisch-lakonische Haltung der Musiker die des Künstlers, der sich vom Geniewahn verabschiedet und sich ganz dem Material in seiner alltäglichen Hässlichkeit hingegeben hat. Dieser installative Charakter ist es, der vom Publikum »verstanden« wird.

Trotzdem darf man besorgt sein, sollte der Sound Wolf Eyes’ jemals aus Kinderzimmern quillen.