»Demokratie heißt nicht, dass wir alle gleich sind«

 

Für ihren Dokumentarfilm Wem gehört die Stadt — Bürger in

Bewegung hat Anna Ditges zwei Jahre lang die Bürgerbeteiligung

zum Heliosgelände mit der Kamera begleitet.

Vier Jahre lang haben Sie an ihrem Film gearbeitet und fast alles selber gemacht: Regie, Kamera und Ton bis hin zu Schnitt und Produktion. Was sind die Vor- und Nachteile dieser Arbeitsweise?

 

Die Nachteile sind auf jeden Fall der Zeitaufwand und die wahnsinnige mentale und körperliche Anstrengung bei solch einer Langzeitbeobachtung. Häufig sagen Leute: Das war doch ganz einfach, du konntest direkt vor deiner Tür drehen. Aber es ist ja nicht so, dass man sich die Kamera schnappt und schon hat man den Film im Kasten. Man muss sich sehr gut vorbereiten, wenn man zu Dreharbeiten geht, um dann auch in der Situation wirklich reagieren zu können. 

 


Auch bei der besten Vorbereitung lässt sich die Realität nicht vorhersehen. Wie geht man damit um?

 

Am Anfang solch einer Beobachtung weiß man noch nicht, welche Leute sich im Laufe des Prozesses als besonders wichtig herausstellen werden, und auch nicht, welche Figuren dramaturgisch wichtig sein werden. Wenn man wie ich dann noch den Anspruch hat, dass der Film sich aus sich heraus erzählt — es also keine Erzählerstimme gibt —, dann wird es noch einmal schwieriger. Deswegen habe ich insgesamt 180 Stunden Material sammeln müssen. Häufig war ich der Verzweiflung nahe, weil ich nicht wusste, ob sich am Ende alles zusammenfügen wird. Auf der anderen Seite war es sehr spannend, wenn eine unvorhergesehene Wendung eintrat, zum Beispiel der Vorschlag aufkam, eine integrative Universitätsschule zu bauen.

 


Solch ein abstrakter politischer Prozess mit vielen Beteiligten ist schwierig filmisch abzubilden. Ist ein Text dafür nicht vielleicht -besser geeignet?

 

Manchmal hätte ich mir natürlich im Schnitt gewünscht, ich könnte einen Sachverhalt einfach mal so mit Worten erklären. Aber die Herausforderung war, die Zusammenhänge filmisch herauszuarbeiten. Ich wollte, dass man das Gefühl hat, bei dem Prozess dabei zu sein und dass man die Beteiligten näher kennenlernt. 

 


Eine Schwierigkeit war sicherlich auch, dass sich auf dem Gelände selbst ja noch nichts geändert hat.

 

Es ist natürlich toll, wenn man filmen kann, wie etwas abgerissen oder gebaut wird. Das konnte ich nicht. Stattdessen zeigt der Film uns Menschen aus unterschiedlichen Schichten und mit verschiedenen Hintergründen, die in einer Demokratie ihre divergierenden Interessen vertreten. Das fand ich das Spannende.

 


Es gibt sicherlich ja auch Ehrenfelder, die gerne ein Shoppingcenter gehabt hätten. Die kommen nicht wirklich zu Wort im Film, ebenso wie Jugendliche — obwohl ich das sehr gerne gehabt hätte.

 

Ich wollte mich aber auf den Beteiligungsprozess konzentrieren und diese Gruppen waren einfach nicht vor Ort. Ich habe aber im Anschluss ein Jugendmedienprojekt mit dem Titel »Mein Ehrenfeld — Unsere Zukunft« gemacht, bei dem ich ganz gezielt Jugendlichen die Möglichkeit gegeben habe, in Workshops eigene Filme über ihr Viertel zu entwickeln.

 


Was halten Sie vom Begriff »Wutbürger« im Sinne vom saturierten Mittelständler, der am liebsten hätte, dass alles so bleibt, wie es ist?

 

Ehrenfeld ist ein gutes Beispiel für ein Viertel, das teilweise schon gentrifiziert ist. Und viele dort wollen sicherlich, dass alles so bleibt, wie es ist. Was mich aber an dem Begriff »Wutbürger« stört, ist, dass er alle Leute über einen Kamm schert, die eigentlich ganz unterschiedliche Beweggründe dafür haben, sich einzubringen.

 


In Ihrem Film zeigen Sie sehr schön, dass diejenigen, die sich bei einer Bürgerbeteiligung engagieren, letztlich auch Partikularinteressen verfolgen. Für die Belange der Handwerker auf dem Gelände etwa setzt sich niemand ein.

 

Diejenigen, die sich aktiv bei solchen Prozessen engagieren, sind Menschen, die dazu auch in der Lage sind — zum Beispiel weil sie Zeit dafür haben. Die Handwerker, die auf dem Areal leben und arbeiten, waren mir ganz besonders wichtig, weil für sie eigentlich egal ist, welche Nutzung sich durchsetzt — eine inklusive Universitätsschule, eine Shopping Mall oder ein Park –, sie müssen so oder so weichen. Es war ihnen auch von Anfang an ziemlich klar, dass sie gar keine Möglichkeit haben, etwas in ihrem Sinne zu erreichen. Daher haben sie sich auch nicht wirklich eingebracht, zumindest glaube ich, dass das der Grund war. 

 


Was haben Sie durch die Beschäftigung mit dem Thema gelernt?

 

Ich habe beim Dreh viel herausgefunden über unsere Gesellschaft — unter anderem dass Demokratie nicht heißt, dass wir alle gleich sind. Wir haben einfach nicht alle die gleichen Möglichkeiten. Ich möchte dennoch mit meinem Film zum Ausdruck bringen, dass unsere Gesellschaft grundsätzlich ermöglicht, sich einzubringen. Auch wenn es sehr unterschiedlich ist, wie viel man erreichen kann. Die Bürgerbeteiligung hat immerhin verhindert, dass eine Shopping Mall gebaut wird. Ich bin selber gespannt, was noch passieren wird.  Insofern ist der »Sieg« der Bürger einer mit Fragezeichen. Daher auch das offene Ende des Films — auch wenn ich als Zuschauerin im Kino häufig fluche bei offenen Enden.

 


Das heißt, es wird eine Fortsetzung des Films geben?

 

Das ist noch offen.