Realität und Wahn

 

»Birdman« oder (die un­­ver­hoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

von Alejandro González Iñárritu

Dass bei der Produktion von »Birdman« kein Aufwand gescheut wurde, lässt schon das erste Bild erahnen: Es zeigt den Protagonisten im Lotussitz über dem Fußboden schwebend. Natürlich wäre auch einfacher und ohne Computertechnik zu vermitteln gewesen, dass der ehemalige Hollywoodstar Riggan sich im Besitz telekinetischer Kräfte wähnt. Es bedarf wohl auch nicht einer Actionszene, die den New Yorker Times Square in Blockbuster-Manier in Schutt und Asche legt, um zu illustrieren, dass sich im Kopf dieses Mannes Realität und Wahn mischen. Vor allem aber verlangt der Stoff gewiss nicht danach, dass Kamera und Montage mühevoll den Eindruck erwecken, in »Birdman« gäbe es knapp zwei Stunden lang keinen Schnitt — dieses Virtuosentum ist sogar widersinnig, da die Handlung sich nicht in Realzeit abspielt, sondern über ein paar Tage erstreckt.

 

Man könnte den betriebenen Aufwand also schlicht als Bestätigung sehen, dass der mexikanische Filmemacher Alejandro González Iñárritu seit seinem Debüt »Amores Perros« (2000) zunehmend zur Aufgeblasenheit neigt. Doch der ganze Budenzauber — inklusive Anleihen bei allen möglichen Vorbildern, von Aaron Sorkin bis Orson Welles — hat paradoxerweise einen gegenteiligen, geradezu entwaffnenden Effekt. 

 

Riggan hat den letzten Rest seines Vermögens und seines verblassten Ruhms dafür investiert, die selbstverfasste Adaption einer Raymond-Carver-Kurzgeschichte auf eine Broadwaybühne zu bringen. Nun muss er sich nicht nur mit dem kurz vor einer Premiere unvermeidlichen Chaos herumschlagen, sondern auch mit dem Eigensinn eines brillanten Theaterstars sowie den Unsicherheiten seiner gerade aus einer Entzugsklinik entlassenen Tochter. Und mit einigem mehr. 

 

Nicht zufällig wird Riggan von Michael Keaton gespielt, der mit seiner Filmfigur das Schicksal teilt, einen Comic-Helden auf der Leinwand verkörpert zu haben (in Tim Burtons Batman-Filmen) — um dann aus Hollywoods erster Liga wieder verschwunden zu sein. Wenn Riggan glaubt, dass der gefiederte Superheld, den er einst spielte, ihn nun leibhaftig verfolgt, lässt sich »Birdman« als selbstreflexive Satire lesen auf künstlerische Ambitionen, Celebrity-Eitelkeiten und Blockbuster-Kalkül. Doch das bunte, von einem Jazz-Drummer aus dem Off angetriebene Tohuwabohu, das »Birdman« bietet, ist letztlich so überbordend, dass es schlüssige Lesarten kaum zulässt. Nicht zuletzt deshalb wirkt der Film so kurzweilig, dass man Iñárritus übliche Angestrengtheit hier glatt ignorieren kann.