Die glorreichen Sieben

Das ZADIK erinnert an die erste deutsche Galerien-WG in der Lindenstraße

Ohne die erste Messe für moderne Kunst, den 1967 gegründeten »Kölner Kunstmarkt«, hätte es das erste deutsche Galeriehaus wohl nie gegeben. Bis dahin ging es im Kunsthandel eher um Distinktion und Distanz — auch die Distanz zum ökonomischen Aspekt der Tätigkeit. Aber das neue Format der Kunstmesse zeigte: Konkurrenz belebt auch das Kunstgeschäft, ein zahlreiches Publikum sorgte für Besucher- und Umsatzrekorde. Köln versprach, zum Zentrum des Kunsthandels in Deutschland zu werden.

 

So war auch die Gründung eines Galeriehauses in der Lindenstraße 18–22 für Deutschland Ende der 60er-Jahre eine Pioniertat — nach dem Vorbild New York, Sehnsuchtsort einer jungen Generation von Galeristen. Die »entdeckten« bei ihren amerikanischen Kollegen nicht nur neue Kunstrichtungen — Minimal Art, Konzeptkunst, Anti Form, Earth Works —, die sie erfolgreich nach Deutschland importierten. Auch die Versammlung mehrerer Galerien unter einem Dach, wie man sie in Manhattan kennenlernte, lohnte als Experiment, das auch am Rhein funktionieren könnte. 

 

Einer der beiden Anreger des Kölner Projekts, der Kunsthistoriker Andreas Vowinckel, wusste als Geschäftsführer der documenta-Edition in Kassel, wie sehr eine Verdichtung des Kunstangebots die Nachfrage förderte. So kam es in dem äußerlich unscheinbaren, umgebauten Bürohaus in der Lindenstraße bis 1971 zum Einzug von Galerien für zeitgenössische Kunst, die die Tagespresse euphorisch als die »glorreichen Sieben« titulierte. Rolf Ricke, Heiner Friedrich, Reinhard Onnasch, Hans-Jürgen Müller, Michael Nickel (Galerie Thelen), Thomas Neuendorf und Dieter Wilbrand hatten schon anderswo Aufbauarbeit geleistet. Friedrichs Münchner Räume, die der Amerikaner Walter de Maria 1968 knietief mit Erde füllte, waren bereits Kunstgeschichte; Müller arbeitete daran, das jenseits des Atlantiks noch von der NS-Zeit überschattete Image junger deutscher Künstler zu verbessern.

 

Müller war gelernter Werbegrafiker, er entwickelte eine Zeitschrift für das Galeriehaus, die 1971 in neun Ausgaben erschien. Das Magazin, das das Zentralarchiv des Internationalen Kunsthandels (ZADIK) in seiner Archivausstellung über die Geschichte des Galeriehauses neben anderen Text- und Bildmaterialien zeigt, gibt einen guten Einblick in das damalige Geschehen. Nicht nur die Programme, auch die Vermittlungsstrategien waren denkbar breit gefächert. An einem gemeinsamen Eröffnungsabend – noch eine Innovation — zeigte Friedrich den Avantgarde-Filmer Gregory Markopoulos, Onnasch sperrige sozialkritische Environments von Edward Kienholz und Wilbrand figurative Druckgrafiken von Dorothy Iannone, die die sexuelle Befreiung feierten.

 

Die hauseigene Zeitschrift bot überdies Raum, um Ereignisse zu dokumentieren, wie Rickes spektakulären Nebelraum des Pop-Künstlers James Rosenquist. Oder um auf Finanzierungsmöglichkeiten hinzuweisen: »Kunst kaufen leicht gemacht« dank zinsloser Ratenzahlungen, die Müller seinen Sammlern anbot. Expliziter ging wohl kein Galerist zu Werke, wenn es um Zahlungsmodalitäten ging. Gleichwohl war Geld — genauer: Kunst als Geldanlage — auch damals kein Tabu im Kunstbetrieb. So versprach der ebenfalls in der Lindenstraße ansässige Wirtschaftsjournalist Willi Bongard mit seinem »Kunstkompass« das »Riesenangebot« unter dem Gesichtspunkt zu sortieren, was »mit einiger Wahrscheinlichkeit Aussicht auf Bestand haben wird«. Mit anderen Worten, was sich irgendwann mit Gewinn weiterverkaufen ließ. Bongards berühmt-berüchtigtes »Top-100-Künstler-Ranking« war das erste in der Geschichte des Kunsthandels und wird noch heute von seiner Partnerin Linde Rohr-Bongard weitergeführt.

 

Es versteht sich, dass es im Lauf der Jahre Fluktuationen gab. Zu den einflussreichsten Neuzugängen gehörten die experimentelle Videogalerie von Ingrid Oppenheim, die Pionieren des Mediums wie Katharina Sieverding und Marcel Odenbach Produktionsmöglichkeiten bot, oder Karsten Greve, der 1973 mit dem damals bereits legendären Yves Klein eröffnete und bis heute in Köln arbeitet. 1984 schloss die letzte Galerie in der Lindenstraße mit dem Tod von Dieter Wilbrand. 

 

Ohne die konzertierten, pluralistischen Aktivitäten des Galeriehauses sähen viele öffentliche und private Sammlungen in Köln und anderswo heute wohl anders aus. Nachhaltig war auch das Konzept »Galeriehaus« — nicht zuletzt als Aufgabe für Architekten. Das von O.M. Ungers entworfene Gebäude an der Venloer Straße 21 wurde ebenfalls legendär; das 2002 vom Büro Knies umgebaute, postindustrielle Beton-Kleinod »ads1a« (An der Schanz 1a) im Stadtteil Riehl wird bis heute von einer Galerien-WG genutzt.