Foto: Manfred Wegener

»Wir müssen reduzieren«

Weniger Wachstum, weniger arbeiten, mehr reparieren - Niko Paech ist der Außenseiter unter den Ökonomen.

Herr Paech, Sie sprechen von einer »Postwachstumsökonomie«. Was ist das eigentlich?

Eine Postwachstumsökonomie resultiert aus zwei Reduktionsprozessen. Auf der Nachfrageseite wären die Ansprüche an materielle Selbstverwirklichung deutlich zu senken, aber nicht als Verzicht, sondern als Befreiung vom Überfluss. Und auf der Angebotsseite müsste die Industrieproduktion um mindestens die Hälfte reduziert werden. Dies würde zu einer Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit um durchschnittlich die Hälfte führen. Die nun verfügbare Zeit würde dazu dienen, eine lokale Selbstversorgung aufzubauen. Menschen würden wieder selbst Dinge produzieren, gemeinsam nutzen und vor allem instand halten und reparieren. Ergänzend käme noch eine Regionalökonomie hinzu.

 

 

Was wird denn von unserer Ökonomie übrig bleiben?

Viele der heute verfügbaren Industrieprodukte würden weiterhin benötigt — selbst Autos. Aber deren Anzahl wäre durch Konzepte der Gemeinschaftsnutzung stark zu senken, genau wie die Kilometerleistung. Bei Elektronik- und anderen Gebrauchsgütern ginge es darum, sie möglichst sparsam und langlebig zu verwenden. Dinge gemeinschaftlich zu nutzen und deren Lebensdauer zu verlängern reduziert den Bedarf an Geld, Arbeitszeit und Industrieproduktion. Vor allem werden Klimaemissionen gesenkt. Klimaschutz bedeutet, dass jeder Mensch nur noch ein bestimmtes CO2-Budget beanspruchen kann, etwa 2 bis 3 Tonnen. Das schafft man nur durch Sesshaftigkeit, Genügsamkeit und Selbstversorgung.  

 

 

Wer soll denn das ökologische Budget der jeweiligen Menschen kon-trollieren?

Wichtig ist, dass wir endlich mit dem Selbstbetrug aufhören, Klimaschutz anhand der Anzahl von Windkraftanlagen messen zu wollen. Die einzig verlässliche Zielgröße ist die Summe der individuellen CO2-Emissionen. Um Verantwortung übernehmen zu können, brauche ich Informationen: Wieviel CO2 verursachen ein Kilo Butter, eine Flugreise oder mein Haus? Diese Informationen müssen die Firmen oder andere Einrichtungen bereitstellen. 

 

 

Warum ist Do-it-yourself in der Postwachstumsökonomie so wichtig? Es verbraucht doch nicht mehr Ressourcen, wenn jemand anderes mein Notebook repariert.

Erstens haben wir momentan gar keine Reparaturwirtschaft mehr. Wir müssten sie erstmal wieder in Gang bringen. Zweitens verlangt eine Wirtschaft ohne Wachstum, mit weniger Geld zu leben. Je mehr Geld wir brauchen, um Fremdversorgung zu bezahlen, umso größer muss die Wirtschaft sein, durch die wir dieses Einkommen verdienen können. Drittens werden wir autonomer und freier, wenn wir selbst in der Lage sind, Dinge durch Pflege und Reparatur zu erhalten oder sogar selbst zu produzieren. 

 

 

Aber haben wir nicht schon längst eine Wirtschaft, die kaum noch wächst?

Unser Niveau an materieller Ausstattung und Mobilität kann durch keinen technischen Fortschritt von ökologischen Schäden bereinigt werden, also hilft nur der Rückbau. Außerdem findet verstecktes Wachstum statt, weil wir viele Dinge von außerhalb Deutschlands kaufen, was anderswo zum ruinösen Wachstum beiträgt.

 

 

Welche Rolle spielen Stadt und Land in Ihrem Konzept?

Ohne regionalökonomische Ansätze als drittes Versorgungssystem neben verkleinerter Industrie und reiner Selbstversorgung geht gar nichts. Anstelle einer Industrielandwirtschaft wären kleinräumige, bäuerliche Strukturen sinnvoll, die sich mit den Städten verzahnen können. Städtische Versorgungsgemeinschaften können als Ergänzung zum Urban Gardening mit regionalen Erzeugern kooperieren, denken wir etwa an die Vertragslandwirtschaft. Viele Konzepte der Selbstversorgung lassen sich gerade in den Städten gut umsetzen, weil die Vernetzung der Menschen hier besser gelingt. Autofreie Innenstädte, Lastenfahrräder, Nahverkehrssysteme und ein kleiner Rest an LKW-basiertem Lieferverkehr würden das Stadtbild verändern. Ein beträchtlicher Teil des filialisierten Einzelhandels würde durch regionale Märkte, Tauschringe, Leihstationen und offene Werkstätten, wo Kunst und Handwerk eine Praxis des Erhalts entfalten, ersetzt. 

 

Sie stellen die Arbeitsteilung stark in den Mittelpunkt ihrer Kritik. Zunächst erscheint es doch sinnvoll, sich in seinen Fähigkeiten zu spezialisieren.

Ich will sie nur entschärfen. Derzeit basiert Arbeitsteilung auf Technologie- und Kapitaleinsatz. Die damit erzielte vermeintliche Effi-zienz ist nur versteckte Plünderung. Mir schwebt eine handwerkliche und nicht-kommerzielle Arbeitsteilung in geographisch kleinem Maßstab vor. Auch in frühen Handwerkergesellschaften erlebten wir schon eine hochgradige Arbeitsteilung. In mittelalterlichen Städten hat nicht jeder sein Brot gebacken oder seine Schuhe geflickt. 

 

 

Welche Spezialisierungen soll es dann noch geben?

Innerhalb der prägnant zurückgebauten Industrie, aber auch in der Regionalökonomie herrscht ja sowieso Arbeitsteilung. Selbst im dritten Versorgungsbereich, nämlich der ergänzenden Selbstversorgung, geht’s arbeitsteilig zu. Denn selbst wenn ich nur 20 Stunden als Hochschullehrer arbeite, käme ich nicht weit, wenn ich alle Reparaturen selbst erledigen wollte. Ich würde mich darauf spezialisieren, Fahrräder zu reparieren. Das macht mir Spaß und das kann ich. Meine Nachbarn sind vielleicht eher Gärtner und geben mir die Überschüsse aus ihrem Garten im Tausch. 

 

 

Welche Bedürfnisse verschwinden in der Postwachstumsökonomie?

Die medizinische Versorgung wird eine andere sein. Wir werden nicht mehr so viele Antidepressiva brauchen. Krankheiten, die durch falsche Ernährung, Bewegungsmangel und zu viel Stress erzeugt werden, können weitgehend verschwinden. Der Gesundheitssektor ist ja zum reinen Reparaturbetrieb geworden, was daran liegt, dass wir durch die Einbettung in industrielle Spezialisierung und konsumtive Bequemlichkeit ungesund  leben. Außerdem werden wir sesshafter im Sinne eines kerosinfreien Glücks.

 

 

Die Soziologen Richard Wilkinson und Kate Pickett behaupten in »Gleichheit ist Glück«, dass egalitäre Gesellschaften weniger anfällig für psychische Krankheiten seien. Wie egalitär wird die Postwachstumsökonomie sein?

Bei Wilkinson und Pickett vermisse ich eine Auseinandersetzung damit, dass eine Gerechtigkeit, die auf Rücken der Ökosphäre, also zulasten nachfolgender Generationen ausgetragen wird, ein ethischer Widerspruch in sich ist. Im Modell der Postwachstumsöko-nomie wird auf unterschiedliche Weise für Gerechtigkeit gesorgt, aber innerhalb ökologischer Grenzen. Eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeit und ein individuelles Budget an ökologischer Inanspruchnahme sind elementar. Noch wichtiger ist: Die Linke denkt Gerechtigkeit immer in der Logik der Konsumgesellschaft, will also die Massenkaufkraft stärken. Aber Gerechtigkeit ist auch eine Frage der Bedürftigkeit. Genügsamere Subkulturen und Lebensmodelle könnten uns von der Industrieversorgung emanzipieren. Damit sind wir weniger angreifbar durch Verteilungskämpfe. Sich nicht mehr um knappe Dinge streiten zu müssen, einfach weil man sie nicht braucht, eröffnet eine neue Sicht auf Gerechtigkeit.

 

 

Werden die Menschen denn dann auch häufig künstlerisch tätig sein?

Na und ob! Darstellende und bildende Kunst sind die perfekte Alternative zu Konsum und industrieller Produktion. Wenn ich von eigener Produktion und Nutzungsdauerverlängerung rede, dann ist die Grenze zwischen Handwerk und Kunst fließend.