Geifern, Spucken, Zetern: James Chance (hier 1981 in West-Berlin)

James Chance & The Contortions

Sein schmales Werk zählt zu den besten des Post-Punks: James Chance & The Contortions.

Es gibt wirklich wenige Musiker, die so viel aus so wenig saugen. Eigentlich nämlich hat James Chance aka James White aka James Sigfried nur vier »richtige« Alben veröffentlicht, die ersten beiden sind auch schon mit Abstand die besten, und sie erschienen direkt hintereinander in jenem berühmten Postpunk-Jahr 1979: »Buy« und »Off White«. Aber das reicht, es sind Klassiker, die konsequent einer Ästhetik des Falschen anhängen, weil sie zum Beispiel gewisse Aspekte des Free Jazz grell überbetonen, weil sie eine ironische Haltung gegenüber Punk einnehmen, weil sie Pop-Standards auf ostentativ platte Weise verhohnepiepeln. James White nannte damals seine Begleitband The Blacks. Scherze also von der Art.

 

Die Musik: spitz, schrill, ausge­zehrt — dünne Krawatten im Koksrausch. Minimalfunk, Haarnadelpunk, Free-Jazz-Ekstase als Flohzirkus, unkoordiniertes Schreien zu stoisch ratternden Drums und säurespritzenden Gitarren, aber alles sehr kunstvoll eingesetzt. James Chance — Jahrgang 1953, Altsaxofondarsteller, dilettierender Anti-Sänger, Stilikone aller verhinderten Charismatiker, immer verkündend, die letzte Runde zu bezahlen, aber wenn es ums Abkassieren geht, plötzlich unauffindbar — hatte ein bisschen Geld im Rücken und konnte sich tatsächlich die New Yorker Loft-Jazz-Ikonen von Sam Rivers bis Bern Nix für Gastauftritte leisten. Und ab Mitte der 80er leistete er sich ein bescheidenes, aber unabhängiges Rentner-Dasein.

 

In den 90ern trieb es ihn zurück auf die Bühne, das Erbe war aufgebraucht. Lustlos stand er da rum. Jubilierende Frauen im Background-Chor, semiprominente Gäste, die — kein Kunststück — besser Saxofon als Chance spielen konnten. Alles nicht sein Bier. Aber er hat sich durch die Wüste des verfrühten Comebacks geschleppt und in den letzten zwei, drei Jahren tatsächlich zu einem würdevollen Ausdruck gefunden. Sein Gezeter und Geschnauze stellt Chance jetzt mit einer gewissen Alterssouveränität aus. Die steht ihm gut.

 

Sein schmales Werk – das, falls das hier noch nicht ganz deutlich geworden ist, zum besten Postpunk überhaupt zählt — ist mittlerweile Gegenstand der Musikgeschichte. Unser Mann macht sich nichts draus, Nostalgie ist nicht seine Sache. Mit Nihilismus und Nietzsches Konzeption der ewigen Wiederkehr hat er sich ja auch intensiver auseinandergesetzt.