Alles fließt zusammen

Mr. Shirazy & The Exile Orchestra feiern Musik, Kunst

und Performance als großes Zusammenkommen

Den Weg vom iranischen Psychedelic-Pop der 70er zur Kölner Clubkultur der Gegenwart, vom Spacerock eines Jimi Hendrix zum Postrock muss man sich als großes Spektakel, als Ganzheitserlebnis aus Farben, Klängen, Stimmen, Stimmungen vorstellen. Brutal naheliegend, dass Omid Shirazi, Kapitän auf dieser Reise, das daraus entstandene Album »Ocean« nennt. Alles fließt? Alles fließt zusammen!

 

Shirazi kam vor 28 Jahren aus Teheran nach Deutschland, auch um nicht als Kindersoldat im Irak-Iran-Krieg dienen zu müssen. Er lebte lange in Bochum, studierte Musik in Arnheim und in Essen und ist seit acht Jahren in Köln. Hier hat der Sänger, Produzent, Lichtkünstler, Instrumentenerfinder ein beeindruckendes Netzwerk aus Musikern und Freunden aufgebaut, aus dem auch das Exile Orchestra hervorgegangen ist. Ihre Botschaft ist der Humanismus einer kooperativ-gleichberechtigten Musik, in der es keine Barrieren zwischen Technik und Performance, »Live« und »Studio«  geben soll. »Ocean« ist ihr zweites Album.

 

»Ocean« ist sehr vielschichtig geworden. Welche Arbeitsweise liegt dem zugrunde? Ich begreife meine Arbeit eigentlich wie ein Regisseur, der einen Film macht. Ich versuche, Menschen in eine bestimmte Stimmung zu versetzen und ihnen eine Grundlage oder Idee zu vermitteln, die es ihnen ermöglicht, sich selbst einzubringen. Sie sollen nicht das Gefühl haben, dass sie das machen, was ich ihnen sagen. Darum geht es gar nicht. Ich will ein Energiefeld erzeugen, das andere Ideen, andere künstlerische Identitäten gleichberechtigt integriert. Für das aktuelle Album habe ich bloß Songskizzen entworfen, bestimmte Melodien oder die Gesangsstimme geschrieben, Harmoniefolgen und ein paar Rhythmen skizziert. Damit bin ich dann in den Proberaum und wir haben daraus gemeinsam Musik gemacht. Meine Arbeitsphilosophie ist, niemand gibt autoritär die Richtung vor, sondern alle begreifen sich als Teil eines größeren Zusammenhangs.

 

Ein anderer Aspekt Deiner künstlerischen Arbeit sind die Visuals. Wie hat sich das entwickelt? ­Visuals haben ja erstmals nichts mit Musik zu tun. Ich ziehe keine strikten Grenzen zwischen den Genres, das gilt auch für Theater oder Kino — alles kann gleichermaßen inspirierend sein. Ich denke und empfinde da sehr synästhetisch. Die Art und Weise, wie ich zu den Visuals gekommen bin, ist musikalisch inspiriert, das kam ganz organisch. Ende der 80er Jahre habe ich angefangen, mich mit elektronischer Musik zu beschäftigen — das begann mit einem C64, dann kam der Amiga. Was mich damals fasziniert hat, war das Sampling, dass man also Sprachfetzen oder be­­stimmte Klänge auf Tasten legen konnte und dann einfach abgerufen hat. Ich habe mir gedacht, wenn ich Töne samplen kann, warum dann nicht auch Videosequenzen? Es hat dann sieben Jahre gedauert, bis ich zum ersten Mal mit einer solchen Videosoftware in Berührung kam und noch mal sieben Jahre, bis ich meine ersten Videosets gestaltet habe.

 

Für Dich ist es ein und derselbe Prozess? Ja, ich sehe mich als ­Multimedia-Performer und dazu gehört, dass man Musik nicht vorherplanen kann. Es muss die Spontaneität in der Live-Situation gegeben sein, man muss reagieren auf alles, was einen jetzt gerade beschäftigt. Ich möchte einen Raum schaffen, in dem der Geist des Momentes seinen Platz findet. Das funktioniert im Medium der Musik genauso wie mit den Visuals.

 

Das, wenn man so will, Brennglas, das Deine Ideen bündelt, um sie in Sounds und Bildern zu über­setzen, ist ein von Dir selbst entworfenes Samplinginstrument. Es heißt Freeak, und es entstand aus dem Bedürfnis, elektronische Musik in Echtzeit zu machen. Es ist ein Unikat, reine Handarbeit. Ein großes Manko in elektronischer Musik ist, dass viel vorproduziert ist, die Leute lösen nur aus, was andere für sie festgelegt haben. Du kannst dann auch schlecht performen, du stehst hinter deinen Controllern und Synthesizern und bist mehr ein Verwalter ohne guten Kontakt zum Publikum. Mit einem Freund habe ich über ein Jahr an dem Instrument gebastelt, es wurde immer vielschichtiger, denn ich kann mit dem Freeak nicht nur direkt loopen, sondern es auch als Effektbox einsetzen oder die Visuals steuern. Aber die technische Seite ist gar nicht so wichtig, für mich war es eine großartige Erfahrung, wie ich in mir selbst eine Dynamik entfesselt habe, an dessen Ende dann dieses komplexe Instrument stand — was dann wieder Auswirkungen auf unsere Musik hat. Das war ein un­gemein befruchtender Prozess.

 

Du siehst Dich als Teil eines Netzwerks: das Exile Orchestra. Welchen Anspruch verbindet ihr mit dem Namen? Wir sind eine internationale Truppe aus ganz unterschiedlichen Musikern, Visual Artists, Technikern, Fotografen, Bühnenbauern?... Dass sich das so ergeben hat, das war ja nicht geplant! Irgendwann ist uns aufgefallen, dass kaum einer von uns freiwillig nach Deutschland gekommen ist: Eine ist hier, weil sie als Frau im Iran keine Perspektive hat, ein anderer kommt aus Mexiko, wo ihm der Drogenkrieg das Leben unmöglich gemacht hat, ein anderer ist dem wirtschaftlichen Elend in Peru geflohen, und ich wollte nicht als Kindersoldat im Irak-Iran-Krieg verheizt werden. Wir alle haben die Flucht nach vorne angetreten und hier in Deutschland den Neuanfang gewagt, aber natürlich bleiben wir durch unsere Geschichte geprägt. Wir haben mal zu acht eine Tour durch Mexiko gemacht, eingepfercht in einen kleinen Van, und es hat wunderbar geklappt. Es gab einen großartigen Zusammenhalt untereinander, und wir hatten die Vision, wenn das zwischen uns, die wir aus so verschiedenen Ecken der Welt kommen, so gut läuft, warum sollte es nicht auch auf gesellschaftlicher Ebene gut laufen?