»Rolle und Realität kann ich auseinanderhalten«

In »Still Alice« spielt Julianne Moore eine an Alzheimer erkrankte Professorin — ein Gespräch über die Krankheit, akribische Recherchen und Hollywood

Frau Moore, in »Still Alice« spielen Sie eine Frau, die an Alzheimer leidet. Wie bereiten Sie sich auf so eine Rolle vor? Mir war es sehr wichtig, das Verhalten, die körperlichen Veränderungen und sprachlichen Einschränkungen, die mit dieser verheerenden Krankheit einhergehen, so genau wie möglich darzustellen. Deshalb habe ich mich sehr intensiv auf diese Rolle vorbereitet. Ich habe viele Gespräche mit Menschen geführt, die sich in einem frühen Alzheimer-Stadium befinden. Die Jüngste von ihnen war 49 und die Älteste 62. Ich habe mich mit einer Unterstützergruppe in New York getroffen, um mich über die Probleme der Verwandten und Freunde von Erkrankten zu informieren. Ich habe die einschlägige Literatur gelesen, Dokumentationen angeschaut, mit Ärzten und Wissenschaftlern gesprochen, die mit mir auch einen Erinnerungstest durchführten, bei dem einem angst und bange werden konnte. Und schließlich habe ich noch ein Heim besucht, in dem Alzheimer-Kranke untergebracht waren, die nicht mehr allein leben können.

 

Viele Filme, die sich mit Alzheimer beschäftigen, sentimentalisieren die Krankheit. »Still Alice« ist anders. Vielleicht kommt das daher, dass Richard Glatzer, einer der beiden Regisseure, an ALS leidet — eine Nervenkrankheit, die nach und nach alle Muskeln lahmlegt. Während der Dreharbeiten konnte Glatzer nur noch über ein Sprachprogramm auf seinem iPad kommunizieren, weil er die Kon­trolle über seine Stimme verloren hatte. Er ist mit der schmerzlichen Erfahrung vertraut, dass Fähigkeiten, auf die er sich ein Leben lang verlassen hat, allmählich verschwinden. Vielleicht ist das der Grund, warum der Film so nahe dran ist an der Krankheit.

 

An einer Stelle sagt Alice »Ich wünschte, ich hätte Krebs«, weil sie sich dafür weniger schämen müsste. Warum ist die Scham bei Alzheimer so groß? Während der Recherche habe ich mit einer Frau gesprochen, die früher eine Tanz-Company geleitet hat und in diesem Job sehr viel Verantwortung trug. Durch Alz­heimer hat sie ihre sprachlichen Fähigkeiten rapide verloren. Dann ist sie zu ihrem Sohn in eine andere Gegend gezogen, wo niemand sie kannte, und alle dachten, sie sei dumm. Das hat sie sehr gekränkt und ihre Identität tief verunsichert. Alzheimer ist in unserer Gesellschaft mit einem riesigen Stigma behaftet, und der Film versucht, die Vorurteile gegenüber dieser Krankheit ein wenig zurechtzurücken. Denn ­Alzheimer ist eine Krankheit, die immer mehr um sich greift und über die wir ins Gespräch kommen müssen. Viele denken, Demenz gehöre zum Älterwerden dazu. Aber das stimmt nicht. Auch bei einer 80-Jährigen ist Demenz eine Krankheit. Man verliert sich Stück für Stück. In dem Film geht es darum herauszufinden, was uns im Wesentlichen als Menschen ausmacht. Was bleibt von unserer Persönlichkeit, wenn wir unsere Wahrnehmungsfähig­keiten, unseren Intellekt, unsere Kommunikationsmöglichkeiten verlieren.

 

Ist es wirklich so, dass eine solche Krankheit auf das Wesentliche unseres menschlichen Daseins verweist? Oder ist das vielleicht auch nur ein hilfloser Versuch dem Verfall einen Sinn zu geben? Das ist eine schwierige Frage. Aber ich glaube, dass vieles in unserem Leben, wenn man es genau be­trach­tet, nur ein Konstrukt ist. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, aber an dem Satz ist etwas dran: »Das Einzige, was wir im Leben wirklich tun müssen, ist zu sterben.« Alles andere haben wir uns dazuerfunden: Sprache, Literatur, Arbeit, Restaurants und so weiter. Aber was bedeutet das alles unterm Strich? Was macht uns letztlich zum Menschen? Es klingt vielleicht ein wenig hoch­trabend, aber das ist die entscheidende Frage, die der Film stellt, ohne sie selbst beantworten zu wollen.

 

Sie sind seit 28 Jahren im Geschäft und können auf eine der interessantesten und abwechslungsreichsten Filmografien Hollywoods zurückblicken. Wie haben Sie das geschafft? Ich muss sagen, dass ich sehr stolz darauf bin. Einen Film wie »Still Alice« direkt nach »Maps to the Stars« ins Kino zu bringen — das ist einfach toll. In Hollywood wird man immer gern in eine Schublade gesteckt und auf eine Persönlichkeit festgelegt. Aber ich bin Schauspielerin und möchte so viele unterschiedliche Figuren wie möglich spielen. Es ist für mich immer noch sehr aufregend, wenn eine Figur vor der Kamera Gestalt annimmt und das dann auf der Leinwand zu sehen ist. Aber gute Filme fallen einem natürlich nicht in den Schoß. Ich lese sehr viele Drehbücher und kann meistens gleich sagen, ob das etwas für mich ist. Da kann ich mich auf meine Erfahrung und mein Gefühl verlassen.

 

Und wie schwer fällt es Ihnen, die Rollen wieder abzuschütteln? Rolle und Realität kann ich gut auseinanderhalten. Ich habe zwei Kinder, und als sie klein waren, habe ich sie oft zu den Dreharbeiten mitgenommen. Da lernt man einfach umzuschalten. Wenn ich vom Set komme, lasse ich alles hinter mir.