Ganz schön psychotronisch: Kinoaushang für Franz Josef Gottliebs »Rudi, benimm dich«

Exzessives Begehren

Gossenkino im Drogenwahnwitz: Das Filmfestival "Besonders wertlos" ist eine der letzten Fluchtstätten der Filmleidenschaft.

So viel Pech muss man erst mal haben: Da hat man sich dazu entschlossen, die lokale Bankfiliale auszurauben, hat alles fein säuberlich durchgeplant, ballert auch zu Beginn des Überfalls effektvoll in die Decke — doch dann befindet sich nicht nur ein hochgewachsenes blondes Karate-As unter den Kunden, sondern vor der Tür wartet auch noch ein Boxweltmeister auf seinen Einsatzbefehl. So geht es zu in »Macho Man« (1985), dem vielleicht provinziellsten Actionfilm der Kinogeschichte. Den BoxChampion spielte der damalige Europameister René Weller, das Karate-As nicht minder selbstbewusst der heutige »Promi-Bodyguard« Peter Althof. Gemeinsam legen sie einem Drogenring das Handwerk, prügeln sich durch fränkische Vorgärten und tragen dabei waffenscheinpflichtige 80s-Mode auf.

 

Der von einem gewissen Alexander Titus Benda inszenierte Streifen hat in Nürnberg Kultstatus. Außerhalb Frankens dürfte er höchstens wenigen Spezialisten bekannt sein — als ein spektakulär gescheiterter Versuch des deutschen Kinos, einen Action-Buddy-Reißer in der Tradition der amerikanischen Golan-Globus-Produk­tionen zu inszenieren, für die unter anderem Sylvester Stallone, Chuck Norris und Jean-Claude Van Damme vor der Kamera standen. Jetzt wird diesem trübe funkelnden Stück Gossenkino eine angemessene Bühne bereitet: »Macho Man« läuft als  Eröffnungsfilm von »Besonders wertlos«.

 

Dieses großartige »Festival des deutschen psychotronischen Films« bezieht sich mit seinerm Namen ironisch auf das Prädikat »besonders wertvoll«, mit dem die Filmbewertungsstelle Wiesbaden das angeblich Wahre, Gute, Schöne der Filmkultur kennzeichnet. Der Begriff »Psychotronics« bezeichnete ursprünglich das Studium der Parapsychologie und ist ein Begriff des Kalten Kriegs: Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ging die Angst um, dass der Gegner über Geheimwaffen verfügen könne, die nicht den Körper, sondern direkt die Psyche attackieren. Eine popkulturelle Bearbeitung dieser Paranoia erreichte 1980 die Kinos: Im Low-Budget-Science-Fiction-Film »The Psychotronic Man« wird ein harmloser Friseur durch einen Unfall zum Medium »psychotronischer Energie«. Der Film wurde noch im selben Jahr zum Namenspatron der Zeitschrift Psychotronic Video, die sich bis 2006 den von der klassischen Cinephilie vernachlässigten Regionen der Weltkinematografie widmete: Horror, Exploitation, B-Action, Softpornos, all die lauten, dreckigen, politisch unkorrekten Filme aus den schlecht beleumundeten Kinos in Bahnhofsnähe.

 

Das Festival des deutschen psychotronischen Films wie­de­rum wurde 1999 in Bochum gegründet, 2013 zog es nach Köln. Und weil es zumindest um die Gegenwart des deutschen Grindhouse-Kinos nicht allzu gut bestellt ist, wirft man seine Netze weiter aus als die amerikanischen Namensvettern: Das Festival beschränkt sich längst nicht nur auf die niedrig budgetierten Etagen des Genrekinos, sondern hat ein großes Herz für schräge Vögel aller Art.
Und präsentiert deshalb auch Filme, von denen man meinen würde, sie hätten es gar nicht nötig, auf einer solchen Veranstaltung wiederentdeckt zu werden. Aber dass auch ein kanonisches Werk des Weimarer Sozialrealismus wie G.W. Pabsts »Die freudlose Gasse« (1925) gezeigt wird, belegt, dass das Psychotronische in erster Linie keine Eigenschaft spezifischer Filme ist, sondern ein bestimmter Blick aufs Kino. Ein Blick, der nicht nur in der Filmgeschichte als Ganzer, sondern in jedem Film untergründiges exzessives Begehren zu entdecken vermag.

 

Nicht jeder Film eignet sich gleichermaßen dafür, psychotronisch angesehen zu werden. Doch der psychotronische Blick ist vorurteilsfrei, er findet seine Objekte im Hohen wie im Niederen, im Geleckten wie im Schrundigen — freilich und zum Glück: öfter im Niederen, Schrundigen.

 

Eine Liebhaberveranstaltung? Sowieso. Aber in einer Zeit, in der die Kulturpolitik von der »Pflege des Filmerbes« schwadroniert und damit doch nur meint, dass »Metro­polis« (1920) und »Das Kabinett des Dr. Caligari« (1927) alle paar Jahre in immer noch toller glänzenden Restaurierungen auf der Berlinale präsentiert werden, sind Besonders wertlos ebenso wie die legendären Nürnberger Kongresse des Hofbauer-Kommandos die eigentlichen, fast schon letzten Brutstätten cinephiler Kultur. Das zeigt sich auch daran, dass auf dem diesjährigen Besonders wertlos mehr analoge Filmkopien zu sehen sein werden als in den vergangenen zwei, drei Jahrgängen des Festivals von Cannes zusammen.

 

Wenn sich die Zelluloid-Schatz­truhe öffnet, darf und muss man sich auf alles gefasst machen. Zum Beispiel auf einen in gelber Daunenjacke das Tanzbein schwingenden René Weller. Oder auf Rolf Thieles »Labyrinth«, eine delirierende Psychiatrie-Groteske aus den späten 50er Jahren, in der sich Papas Kino dem wohlfeilen und wahrscheinlich drogeninduzierten Wahnwitz hingibt. Wenn man wissen will, was es mit dem oben beschworenen psychotronischen Blick auf sich hat, muss man sich nur dem atemberaubenden Augenaufschlag Nadja Tillers aussetzen, mit dem dieser Film beginnt.