Glamour der Vorstadt

Kein Sozialdrama: Bande de filles

von Céline Sciamma

Körper krachen aufeinander. Zu elektronischen Beats kämpfen Footballspieler in Zeitlupe um den Ball. Bei genauem Hinschauen erkennt man allerdings Pferdeschwänze, die unter den riesigen Helmen hervorlugen. Hier messen keine muskelbepackten US-Hühnen ihre Kräfte, sondern schwarze Mädchen aus den Pariser Vororten. Vielstimmig scherzend und tratschend beenden sie ihr Training und machen sich auf den Heimweg. Sie verstummen erst, als sie in die Nähe der Hochhaus­siedlungen kommen, in denen sie wohnen. Bedrohlich lungern hier Männergruppen in dunklen Ecken herum.

 

Diese wenigen ersten Minuten von »Bande de filles« zeigen schon, dass Céline Sciamma (»Tomboy«)  in ihrem dritten Spielfilm nicht den ausgetretenen Pfaden des sozialen Realismus folgt, auch wenn sie vom Rande der Gesellschaft erzählt. Sie scheut sich nicht, mit offensiven Musikeinsätzen und Mitteln wie Zeitlupen, eleganten Kamerafahrten oder auffälligen Farbakzenten das Leben ihrer Protagonistinnen zu überhöhen. Das arme Milieu bedingt hier keine Arte povera. Sciamma findet Glamour auch in den Sozialbausiedlungen und Biografien, die auch mal »larger than life« erscheinen können. Dabei bewahrt sie sich den Blick für die begrenzten Chancen und festgefügten Machtverhältnisse in den Banlieues und die Probleme, die daraus entstehen.

 

Hauptfigur ist die hochgewachsene Marieme. Sie lebt mit ihren beiden kleinen Schwestern und ihrem älteren Bruder in einem der heruntergekommenen Hochhäuser. Ihre Mutter ist ständig bei der Arbeit, der Vater komplett abwesend. Marieme kümmert sich um ihre Schwestern und wird vom Bruder gegängelt. Sie übernimmt Verantwortung, ohne dafür mit Freiheiten belohnt zu werden. Ihr Leben ändert sich jedoch maßgeblich, als sie auf dem Schulhof drei gleichaltrige Mädchen kennenlernt, die sie in ihre Gang aufnehmen. Marieme gewinnt an Selbstbewusst­sein. Ihre neuen Freundinnen ­werden zur Ersatzfamilie, sie geben Geborgenheit und neue Freiheiten — auch wenn diese zum Teil jenseits der Gesetze liegen. 

 

Auch darin ist »Bande de filles« ungewöhnlich: Erzählt wird trotz der vom Tugend-Pfad abweichenden Protagonistin keine »cautionary tale«, kein warnendes Beispiel, sondern eine Emanzipationsgeschich­te. Auch wenn es gerade für junge Frauen in sozialen Brennpunkten gefährlich sein mag zu experimentieren und aus festgelegten Rollen auszubrechen, lohnend ist es allemal. Das ist für Sciamma eine nicht unbedingt neue Botschaft, filmisch hat sie sie aber noch nie so überzeugend umgesetzt — nicht zuletzt dank ihrer herausragenden Laiendarstellerinnen.