Russische Seele

Korruptions-Krimi: Leviathan von Andrej Swjaginzew

Auf den ersten Blick wirkt das irgendwie schief: Russland schickt einen Film ins Oscar-Rennen, dem nach seiner Uraufführung in Cannes 2014 ein dissidenter Gehalt attestiert wurde. Im Januar holte Andrej Swjaginzews »Leviathan« schon einmal einen Golden Globe als bester nicht-englischsprachiger Film — was gemeinhin als Vorzeichen für die Academy Awards gedeutet wird. Sind die russischen Stellen besonders raffiniert und geben sich selbstkasteiend? Oder hat die westliche Filmkritik etwas nicht verstanden?

 

Beides. Vordergründig erzählt Swjaginzew eine Kohlhaas-Geschichte: Ein Mann, dem ein korrupter Politiker ans hübsche Heim an der Barentsee will, setzt sich gegen eine Hydra aus organisiertem Verbrechen, organisierter Religion und staatlichen Stellen zur Wehr — was nicht gut ausgeht. Zudem ergeben sich noch Verwicklungen, Irrungen, Händel, die ebenfalls schlimm enden. Klingt wie ein Krimi. Ist auch einer, und zwar ein virtuoser.

 

Dass Swjaginzew (»The Return«) Regie führen kann, hat nie jemand bestritten. Nur will »Leviathan« eben mehr sein als ein straffes, potenziell aufklärerisches Stück Genrekonfektion. Das macht bereits der Titel klar. Den Leviathan — ein Geschöpf der Meere, gewaltig und grausam, Gottes Spielzeug an lauen Tagen — findet man im Alten Testament prominent im Buch Hiob. Dort symbolisiert Leviathan die Vergeblichkeit des Aufbegehrens eines vom Herrn Geplagten. Wenn nun der Protagonist hier ein Hiob sein soll, wer oder was ist dann der Leviathan? Die unauslotbaren russischen Verhältnisse?

 

Das legt zumindest ein einfacher Gottesmann in einem ausführlichen Monolog dem Protagonisten nahe, als der ihm beim Tragen eines gera­de eingekauften Brots zur Hand geht. Der einfache Diener des Herren erklärt ebenso entschieden wie demütig, wie es sich verhält mit den Dingen zwischen Himmel und Erde, volkstümlich sozusagen. Um »Leviathan« für klerus- oder gar religionskritisch und deshalb subversiv zu halten, muss man diese Schlüsselszene des Werks ausblenden und so tun, als gäbe es in dem Film an Kirchenvertretern nur den korrupten Kirchenoberen. Was auch immer »Leviathan« an gestalterischen Meriten wie Qualitäten haben mag, er ist eben doch ein kreuzkonservatives Stück »russischer Seele«: Das Leben auf Erden ist Leiden, das Weib ist schwach — und wird dafür rechtschaffen bestraft —, der Mensch muss dulden, Gott wird’s am Ende lohnen. Klar.