Das Wort vom Tod

Porträt einer Tötungsmaschine:

American Sniper von Clint Eastwood

Der Scharfschütze Chris Kyle er­­schoss zwischen 1999 und 2009 bei vier Kampfeinsätzen der US-Navy nach offiziellen Quellen 160 Menschen — Männer, Frauen, Kinder. Die reale Zahl könnte ungleich höher liegen, da viele Tötungen ihm nicht letztgültig zugeschrieben werden konnten. Kyles Opfer waren feindliche Kombattanten und Zivilisten — kurz gesagt: Jeder, der einen US-amerikanischen beziehungsweise alliierten Soldaten hätte töten können und wollen. Kyle wurde am 2. Februar 2013 von einem anderen Veteranen, dem Marineinfanteristen Eddie Ray Routh, umgebracht. Wenn »American Sniper« in den deutschen Kinos anläuft, könnte der für Mitte Februar angesetzte Prozess gegen Routh schon zu Ende sein. Kyles Opfer dagegen sind zu einem großen Teil wohl nur noch ihren Familien und Freunden namentlich bekannt.

 

Natürlich kann man Clint Eastwood vorwerfen, dass er ein recht legeres Verhältnis hat zu den politischen Realitäten jener Dekade, in der Kyle diente. In »American Sniper« wird vieles so krass zusammengezogen, dass Fehlschlüsse nahe liegen und auch von der Regie riskiert werden. Kyle war allerdings seinen — dem Film zu Grunde liegenden — Memoiren nach auch nicht einer, dem es auf politische Subtilitäten angekommen wäre. Kyle funktionierte. Kyle machte das Töten nichts aus. Und Eastwood versucht gar nicht erst zu verstehen, warum Kyle war, wie er war.

 

Stattdessen nimmt er ihn zum Anlass, eine Geschichte über das Sterben und den Tod als Schlüssel zur US-amerikanischen Conditio humana zu erzählen. Kyle, scheint es, legt immer auf sich selber an: Die Tötung eines Kindes steht etwa neben Szenen, die ihn in jungen Jahren bei der Jagd mit dem Vater zeigen; das Fernduell mit einem Heckenschützen der Gegenseite verleiht dem Film ein Rückgrat. Eastwoods Kyle ist ein Genie am Präzisionsgewehr, das langsam, aber sicher von der Allgegenwart des Todes in seinem Leben, von der Logik des Krieges, von dem Zwang zum Erst- oder Gegenschlag von innen ausgehöhlt wird. Kyle verliert die Fähigkeit zu dem, was die Eastwood-Helden gerade in seinen frühen Filmen umtreibt und auszeichnet: das Bedürfnis, frei entscheiden zu können und sein Leben mit jenen, denen man sich nahe fühlt, teilen zu können. Stattdessen muss Kyle das Fortbestehen einer starren Struktur im Namen des Vaterlands erhalten. Wenn Eastwood einst in »The Outlaw Josey Wales« (1976) in einem Monolog an einen Indianerhäuptling auf dem Kriegspfad das »Wort vom Leben« feierte, bleibt ihm in »American Sniper« nur noch das Entsetzen vor einer Kultur, die allein das Wort vom Tod zu sprechen vermag.