New York Babylon

Kapitalismuskritik? A Most Violent Year

von J.C. Chandor

Schwer zu sagen, ob dieses auf kleiner Flamme köchelnde, dichte Drama als Kritik am amerikanischen Unternehmergeist gemeint ist. Oder ob J.C. Chandor den Antriebskräften des Kapitalismus ein Denkmal setzen wollte in Gestalt seines Protagonisten Abel, einem ehrgeizigen New Yorker Heizölhändler, dem nur wenige Tage bis zum Abschluss eines Millionendeals bleiben.

 

Für erste These spricht, dass der Vorspann untermalt wird von Marvin Gayes »What’s Going On« und dass als Abspannmusik eine ebenso sozialkritische, schroffe Ballade von Alex Ebert dient, die er eigens für den Film komponiert hat. Als sarkastische Spitze kann man außerdem verstehen, dass an einem dramatischen Wendepunkt — als Abel sich bei seinen riskanten Expan­sions­plänen zum Kurswechsel genö­­tigt sieht — ein Ausschnitt aus einer Rede Ronald Reagans eingespielt wird.

 

Der war 1981, dem Jahr der Handlung, allerdings neu im Präsidentenamt und daher für die da­ma­ligen Zustände in New York kaum verantwortlich zu machen. Die erscheinen in »A Most Violent Year« so himmelschreiend, dass man — ganz im Sinne Reagans — meinen könnte, sie ließen ehrbaren Unternehmern keinerlei Spielraum. Sobald irgendwo im Hintergrund das Radio läuft, hört man Nachrichten von irren Messerstechern und von Polizisten, die in der U-Bahn angeschossen wurden. Als sichtbares Zeichen von Verwahrlosung rückt die Kamera immer wieder pittoreske, von Graffiti übersäte Industrieruinen ins Bild. Zudem werden die Tanklastwagen von Abels Firma regelmäßig ihrer La­dung beraubt und Abel sowie Ehefrau Anna erhalten vage Drohungen, kaum dass sie mit ihren Töchtern eine Vorstadtvilla bezogen haben. Der Staat bietet keine Hilfe, im Gegenteil: Abel und mit ihm die ganze Heizölbranche stehen im Fokus polizeilicher Ermittlungen.

 

Zwar streut Regisseur und Drehbuchautor Chandor (»Margin Call«, »All Is Lost«) auch Verfolgungsjagden ein, doch er setzt vor allem auf theatral anmutende Dialogszenen, in denen Abel so oft seine Rechtschaffenheit proklamiert, bis er — unabhängig von der Absicht des Filmemachers — erst recht scheinheilig wirkt. Da hilft es wenig, wenn der verkniffene Aufsteiger einen luxuriösen Kamelhaarmantel wie einen Ausweis bürgerlicher Respektabilität trägt. Die sorgsam unterdrückten Gangsterkino-Anflüge dieses Stoffes kommen schließlich nur zur Geltung, wenn Jessica Chastain in der Rolle der Anna herrliche Kaltschnäuzigkeit aufblitzen lässt.