Foto: Manfred Wegener

Schöner schreiben

»Für einen guten Roman braucht man keine Action«

Julia Trompeter gab mit »Die Mittlerin« ihr viel

beachtetes Romandebüt. Ein Gesprächsprotokoll über Köln und ­Berlin als Orte von literarischem Austausch — und über Literatur ohne spektakulären Plot

 

Nach Köln bin ich zum Studieren gezogen. Hier habe ich meinen Magister in Philosophie gemacht und wollte eigentlich direkt mit der Dissertation beginnen. Ich habe aber keine Doktorandenstelle gefunden und nach einem kurzen, frustrierenden Job bei einem Kleinanzeigen-portal hat mir ein Freund von einer Stelle in der Gräzistik der TU Berlin erzählt. Ich habe die Stelle bekommen und bin dann 2008 nach Berlin gezogen. Das war eine Zeit, als sich unheimlich viel getan hat in Neukölln, an jeder Ecke hat eine neue Kneipe, ein neues Kultur-zentrum eröffnet. Heute ist die Gentrifizierung dort bekanntlich sehr weit fortgeschritten, aber damals die kreativen Anfänge mitzuerleben, war schon toll. Es gibt ohnehin eine riesige Literaturszene in Berlin: Ich hatte meinen Literaturstammtisch in Neukölln, bin aber auch zu etablierten Veranstaltungen wie dem »Lauter-Niemand-Literaturlabor« in Mitte gegangen. Während meines -Stu-diums hatte ich auch schon Gedichte geschrieben, aber die wenigen Male, die ich in Köln vor Publikum gelesen hatte, sind relativ wirkungslos an mir vorbeigezogen. Kritik gab es da eigentlich kaum, ich fand es alles sehr affirmativ. In Berlin war das anders: Da flogen die -Fetzen. Anfangs habe ich mir das sehr zu Herzen genommen. Ich kann mich heute noch wortwörtlich an die Kritik nach meinem ersten Lesen bei »Lauter-Niemand« erinnern: Da sagte dieser Mensch, er wüsste jetzt nicht, ob das ein schönes, fein ziseliertes Gedicht sei — oder einfach nur pathetische Scheiße. Das ist mir wochenlang nachgegangen. Später habe ich dann gemerkt, dass so harsche Kritik oft geäußert wird und man mit mehr Selbstbewusstsein an die Sache gehen muss, wenn man hier bestehen will.

 

Die Lektüre von Thomas Bernhard war die Initialzündung meines Romans. Ich weiß nicht, woher viele Autoren dieses Selbstbewusstsein nehmen, zu sagen, »ich schreibe jetzt eine ganz neue Geschichte, auf eine Art, wie sie noch niemand zuvor erzählt hat«. Ich gehe da lieber vier Schritte zurück und kläre all die Umstände und Fragen der Entstehung von Literatur in dem Text selber. Das mag vielleicht etwas naiv klingen, doch zumindest bietet es eine große Offenheit. Und natürlich ist mir bewusst, dass das auch schon Autoren vor mir gemacht haben und ich nicht die letzte sein werde, die das so tut. 

 

In meinem Roman ist die Mittlerin zwar die titelgebende Figur, aber die Hauptfigur ist die namenlose Erzählerin. Sie führt ein recht hermetisches Leben, und in dieses Schneckenhaus dringt dann die Literaturagentin ein. Sie stößt im Seelenleben der Erzählerin einiges an: Sie denkt über ihren Job als Onlineredakteurin bei einem Reiseportal nach und erkennt, dass sie ihr Talent als Dichterin falsch kanalisiert. Und vor allem denkt sie über das Verstehen in menschlichen Beziehungen nach. Sie fragt sich, ob man für ein gegenseitiges Verstehen die gleichen Begriffe teilen muss und, wenn ja, welche das sind. Und dann ist da eben die Mittlerin, die möchte, dass die Erzählerin einen Roman schreibt. Und die Erzählerin fragt sich, welche Themen interessant genug für einen Roman seien. Ich habe mir diese Frage auch gestellt. Man muss keine actionreiche Story erzählen, um einen guten Roman zu schreiben. Im Prolog taucht das erste Mal eine Verlags-lektorin auf, die darauf hinweist, dass der Roman gewisse dramaturgische Probleme habe. Da sei doch ein großer Zusammenbruch, eine Katastrophe welcher Art auch immer, ein guter Anfang! Ich möchte zeigen, dass ein normales Leben problematisch genug sein kann, um einen Roman zu motivieren. Wie schwierig es manchmal ist, sein Leben zu leben. Natürlich gibt es Katastrophen-Journalismus auch in der Prosa. Wenn ich einen Flugzeugabsturz überlebt hätte, würden sich die Verlage sicher um mich reißen! Aber so möchte ich nicht schreiben. Und es wäre auch schön, wenn die Leser nicht immer zu den spektakulärsten Geschichten greifen würden. 

 

Meine ersten Verlagskontakte habe ich 2010 beim Open-Mike geknüpft. Der Wettbewerb ist so groß in Berlin, jeder macht da mit, das steckt an. In Köln hätte ich davon nie etwas erfahren. Ich habe die Anfänge meines Romans vorgetragen — das war nachträglich betrachtet ein Türöffner für vieles.

 

2012 musste ich weg aus Berlin, eigentlich genau der falsche Zeitpunkt, ich hatte gerade angefangen, mich heimisch zu fühlen. Aber mein Job an der TU lief aus, und beruflich war das Rheinland einfach vielversprechender für mich. Ich habe jetzt eine Stelle an der Uni Bochum und wohne in der Nähe der Kölner Uni. In der Kölner Philosophie-Bibliothek habe ich schon meine Magisterarbeit verfasst, und hier bin ich jetzt wieder oft zum Schreiben. Ich kenne noch alle, es ist sehr familiär, wie ein erweitertes Wohnzimmer. Hier sind dann auch große Teile von »Die Mittlerin« entstanden. Und im Regional-express zwischen Köln und Bochum, der braucht schön lange. Die Arbeit an dem Roman hat in Köln noch mal neuen Schwung bekommen, weil ich gleich nach meinem Umzug Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendiatin wurde. Das hat mich mit dem Umzug aus Berlin versöhnt und war nicht nur eine tolle finanzielle Stütze, sondern auch ein Zeichen, dass mein Schreiben irgendwie gewürdigt wird. Sicher war das Brinkmann-Stipendium eine indirekte Folge des Open-Mike. Sowie die Förderung der Kunststiftung NRW eine Folge des Brinkmann-Stipendiums war — Publicity hilft eben. Und in Köln ist der Konkurrenzdruck unter Schreibenden natürlich nicht so groß wie in Berlin. Schon allein die Chance, dass dein Text gründlich von einer Jury begutachtet wird, steigt, wenn du eine von fünfzig Einsendungen stellst, im Vergleich zu achthundert Bewerbern beim Open-Mike. Die andere Seite ist natürlich, dass hier viel weniger los ist, es weniger Lese-Bühnen und Austauschmöglichkeiten für junge Literatur gibt. Als ich gerade aus Berlin kam, erschien mir Köln geradezu tot, was den literarischen Nachwuchs anging. Aber dieses Bild hat sich inzwischen relativiert. Es gibt den Literaturklub und die neue junge Lesereihe »Land in Sicht« im Café Fleur. Auf der ersten Veranstaltung im vergangenen Oktober habe ich gelesen und mit Xaver Römer zusammen Sprech-Duette performt. Das Interesse war riesengroß, es waren bestimmt über hundert Leute da. Das Literaturhaus macht auch gute Sachen und ist seit seinem Umzug besser zu erreichen. Es tut sich also etwas!