Foto: Viola Lopes

Schöner schreiben

Pflichtübung mit Pippi Langstrumpf

Beim Werkstattpreis des Kölner Literatur-Ateliers lernt man zweierlei: Der Nachwuchs ist weiblich — und kommt aus Berlin

 

»Irgendwann habe ich dir einen Antrag gemacht, du bist sehr ernst geblieben, ich habe die Leberflecken auf deiner Hand gezählt, du hast genickt. Du wolltest kein weißes Kleid tragen und ich keinen Anzug, ich mochte die Blumen in deinem Haar, aber deine Schuhe nicht. Dein Vater war stolz, meiner war tot.« So lakonisch wie ihre Worte klingt auch Myriam Klatts Stimme, als sie ihren Text »Kürzer werden die Tage« liest. Ein wenig hastet sie durch die kurze Geschichte, vielleicht auch absichtlich. 

 

Die 30-Jährige ist die erste von drei Finalistinnen, die an diesem Sonntagabend im Literaturhaus ihren Text vorträgt. Die Mitglieder des Kölner Literatur-Ateliers hatten aus mehr als 250 Einsendungen die besten drei ausgewählt. Nun darf das Publikum entscheiden — mit drei farbigen Wahlzetteln. Der Zettel für Myriam Klatt ist blau. 

 

Das Literatur-Atelier ist eine Institution in der sonst so vereinzelungsanfälligen Kölner Literaturszene. Früher traf man sich in der Zentralbibliothek, heute ist das Literaturhaus Homebase von etwa zwanzig Autorinnen und Autoren — alle haben schon veröffentlicht und können diverse Stipendien und Preise vorweisen. »Wir sind keine Schreibschule«, erklärt Ekkehard Skoruppa, Hörspiel-Chef des SWR und neben der Autorin Liane Dirks Moderator des Ateliers. »Vor zehn Jahren haben wir die Runde einmal aufgelöst und unter strengeren Kriterien neu zusammengesetzt. Für produktive Werksgespräche muss einfach ein gewisses Niveau vorhanden sein.« Um aber auch etwas zurückzugeben und zu fördern, wurde der Werkstattpreis geschaffen.

 

Zunächst demonstriert die Jury aus Atelier-Autoren, wie so ein Werksgespräch aussehen kann. Dietmar Engelberth liest seinen Text »Rote Anemone«, in der er eine verstrickungsreiche Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Schlacht von Verdun erzählt. Sodann äußern die Jurymitglieder einen kurzen ersten Eindruck, bevor die Diskussion eröffnet wird. Der Autor des Textes darf erst am Schluss etwas sagen. »Verführerisch schön«, »etwas kryptisch«, »dicht, anspielungsreich, aber mit vielen offenen Fragen«, lauten die ersten Beurteilungen für Engelberths Geschichte.

 

Danach sind die eigentlichen Wettbewerbsteilnehme-rinnen an der Reihe. Die Besetzung der ersten Jury-Runde wird vorgestellt, es folgen Myriam Klatts Daten: 1984 in Düsseldorf geboren, wohnt in Berlin, Fernsehautorin, schon erfolgreich an einigen Literaturwettbewerben teilgenommen. Nach den letzten Worten ihres Vortrags (»Es ging dann sehr schnell. Diesmal hattest du keine besonderen Sachen an. Ich sagte es dir, du hast gelächelt. Das Ende ist anders, hast du gesagt, als der Anfang.«) applaudiert das Publikum kurz und kräftig. »Die Idee, eine Beziehung im Zeitraffer zu erzählen, finde ich sehr reizvoll«, meint Thorsten Krämer, Schriftsteller und Journalist. Nika Bertram, Schriftstellerin, findet die Geschichte sehr bewegend, hat jedoch Fragen zur Erzählhaltung. 

 

Nach der ersten Blitzrunde beginnt die eigentliche Diskussion: Eine gute Textidee und sprachlich gekonnt, so die einhellige Meinung. Wenn man etwas kritisieren wolle, so Thorsten Krämer, dann könne man die Auswahl der Lebensstationen, an denen die Geschichte entlang erzählt wird, als etwas klischiert bezeichnen. »Kennen-lernen, Heirat, Geburt des ersten Kindes, Tod des Kindes, Geburt des zweiten Kindes, er ist untreu, sie ist untreu, am Schluss stirbt sie.« Etwas pflichtübungsmäßig sei das. Anke Glassmacher, Redenschreiberin bei der Landes-regierung NRW und Lyrikerin, findet, das Ende sei zu erwartbar. Thorsten Krämer wirft ein, dass dies alles Kritik auf sehr hohem Niveau sei. Und Nika Bertram äußert den Gedanken, dass sich hinter der reduzierten Sprache und den standardisierten Lebensstationen eine andere Geschichte verberge — etwa die des großen Schmerzes des verwitweten Mannes. Am Ende der Diskussion steht ein sehr wohlwollender Eindruck.

 

Die zweite Finalistin Ina Strelow, auch aus Berlin, 56 Jahre alt, liest ihre Kurzgeschichte »Feuer«: Eine Frau schiebt ihren Mann im Rollstuhl über eine schneebedeckte Straße, mühevoll, schwere Einkaufstüten schlagen rechts und links an die Rollstuhlräder. »Ein ganzes Leben auf der Strecke zwischen drei Straßenlaternen, eine klassische Kurzgeschichte, im Gegensatz zu dem gerafften Leben in der vorigen Geschichte ein Ausschnitt, eine Zeitlupe«, fasst das nun gewechselte Podium Strelows Vortrag zusammen. Die lyrische Sprache wird gelobt, auch die Ausweglosigkeit der Situation, der verblühten Liebe. An der Schlussszene, in der Mann und Rollstuhl zu Boden gehen, hapere es allerdings: Zu viele Ungereimtheiten, das Bild nicht ganz durchdacht, etwas plakativ. Doch auch hier überwiegt die positive Resonanz.

 

Es folgt die dritte Autorin. Auch Signe Ibbeken ist, wer hätte das gedacht, Berlinerin. In Märchenmanier liest sie ihre phantastische Geschichte »Kreuzzwirnarsch« über eine ehemals brave Tochter, die dem draufgängerischen Cowboy-Onkel auf seine Ranch folgt, und schließlich selbst zum Cowboy-Onkel wird. »Eine Identitäts-suche«, deutet das Podium, »pippilangstrumpfhaft« und eben »phantastisch«. Das Pippilangstrumpfhafte gefällt einigen, nicht allen. Am Schluss werden am meisten blaue Zettel abgegeben, Myriam Klatts schnörkellose Prosa hat auch das Publikum überzeugt. »Von dem Wettbewerb hat mir meine Mutter erzählt«, sagt sie nach einer schnellen Zigarette. Und beworben habe sie sich wegen der Jury, »weil man etwas lernen und Produktives mitnehmen kann.« Da lohne auch die weite Reise aus Berlin nach Köln.