» ... jetzt, jetzt, jetzt, ad infinitum!«

Literatur hatte für Rolf Dieter Brinkmann radikal gegenwärtig zu sein. Das Filmforum feiert den 75. Geburtstag des Schriftstellers

Als Rolf Dieter Brinkmann 1964 in der Kölner Buchhandlung Witsch aus seinem ersten Prosaband Die Umarmung liest, meint ein Zuhörer, die Texte wollten sicherlich die Absurdität des Daseins schildern. Der damals 24-jährige Autor widerspricht dem entschieden. Ideo­logien, selbst kulturkritische, seien ihm fremd; die Welt in Kategorien darzustellen, lehne er ab. Statt­dessen verweist er auf die Filme Godards als Vorbild und zitiert ­Kracauers Theory of Film. Statt »Kunst« herzustellen, so konnte er dort lesen, gelte es, die unverstellte Realität aufzuzeigen, den »Fluß zufälliger Ereignisse, der sowohl Menschen wie leblose Objekte mit sich führt … eine offene, grenzenlose Welt«.

 

Diese Haltung wird den Autor, der diesen Monat 75 Jahre alt geworden wäre, begleiten. Titel wie »Der Film in Worten«, »Rom, Blicke« oder »Schnitte« betonen zugleich die Bedeutung des Visuellen für sein Schreiben. Literatur hat für Brinkmann radikal gegenwärtig zu sein: »...jetzt, jetzt, jetzt, ad infinitum!« Das macht die ­Qualität seiner Texte aus und ist zugleich eine Hürde in der Rezeption. Man kann Brinkmanns Texte nicht konsumieren, man muss sich auf sie einlassen.

 

Der Berliner Filmemacher Harald Bergmann setzt hier an. Mit Hilfe umfangreichen Ton- und Bildmaterials aus dem Nachlass rekonstruierte er für »Brinkmanns Zorn« (2006) die letzten Jahre des Dichters bis 1975. Der mehrfach preisgekrönte Film zeigt ihn als Medienarbeiter, als Racheengel, der mit dem Mikro den Mief der Siebziger in Köln anklagt — und als fürsorglichen Vater. Dabei nutzt der Regisseur — wie zuvor für Burroughs, Rimbaud oder Hölderlin — den Autor nicht als Stoff für lineare Geschichten. Vielmehr machen seine Filme das Entstehen (und Erlebnis) von Dichtung erlebbar, als filmisch-lyrische Essays.

 

Trafo-Station des literarischen Undergrounds und nervöser Flaneur im Labyrinth der Großstädte, stiller Poet und lautstarker Randalierer: Brinkmann, so der Verleger Michael Krüger, sei »der Dichter meiner Generation, der die Aporien unserer Zeit am deutlichsten beschrieben hat«. Vierzig Jahre nach seinem zu frühen Tod ist es Zeit, hinter den zahllosen Legenden auch die Texte neu zu ent­decken.

 


75 Jahre Rolf Dieter Brinkmann
Das Filmforum zeigt Harald Bergmanns Kinofilm
»Brinkmanns Zorn« und zwei Filmteile aus dem Director’s Cut:
Sa 25.4., Filmforum NRW
17 Uhr: »Die Super 8 Filme«, 1967–70
19 Uhr: »Brinkmanns Zorn«, 1973–75  
21 Uhr: »Schnitte Collagen«, 1972–73