»Jede Pommesbude ist besser geprüft«: Flughafen Köln-Bonn | Foto: Manfred Wegener

Salami-Taktik vor Gericht

Der Bund verhindert ein Nachtflugverbot für Passagiermaschinen am Köln-Bonner Flughafen. Trotzdem schöpfen Lärmschützer nach einem Urteil Hoffnung

Auf den ersten Blick wirkt es an diesem Frühlingsmorgen in Rath-Heumar ganz beschaulich: Einfamilienhäuser mit kleinen Gärten reihen sich aneinander, das Naherholungsgebiet Königsforst ist um die Ecke, die Vögel zwitschern. Doch die Kleinstadt-Idylle täuscht: Alle paar Minuten donnern hier Flugzeuge über die Häuser hinweg, beim Anflug haben sie nur noch eine Höhe von rund 250 Metern. 81 Dezibel sagt die Messstelle am Ort, so laut wie ein Presslufthammer. Da versteht man sein eigenes Wort nicht mehr, und die Vögel schon mal gar nicht.

Im Jahr 2014 verbuchte der Flughafen Köln-Bonn insgesamt 123.241 Flugbewegungen — 36.255, also mehr als ein Viertel, erfolgten in der Nacht. In keiner anderen Stadt Deutschlands gibt es so viele nächtliche Starts und Landungen. 2009 lag der Airport in Porz-Wahn laut einer Euro-Control-Studie, der europäischen Organisation zur Flugsicherung, europaweit an der Spitze. In der Kernruhezeit von Mitternacht bis 5 Uhr morgens war selbst an den internationalen Airports in Madrid und Amsterdam weniger los. 120 Nachtflüge finden in Köln-Bonn zwischen 22 und 6 Uhr statt, ein Drittel sind Ferienflieger.

 

Die Geschichte des Flughafens ist erstaunlich. 1938 von den Nazis als Militärflughafen ausgebaut, wurde er 1957 zum modernen, zivilen Airport umgestaltet. Bereits in den 60er Jahren tobte dann durch den Ausbau ein »Flughafen-Streit«, weil die Porzer sich vom Lärm gestört fühlten. Der Flughafen liegt zudem mitten im Naturschutzgebiet Wahner Heide.

 

Vor fast zwanzig Jahren kam dann mit UPS das erste Cargo-Unternehmen. 2002 starteten die ersten Billigflieger, mittlerweile ist der Flughafen bundesweit das Haupt-Drehkreuz für Low-Cost-Flüge. Flughafen-Chef Michael Garvens setzte jetzt noch einen drauf: Die Lufthansa-Tochter Eurowings startet ab Herbst mit Billig-Langstreckenzielen nach Dubai, Thailand oder Kuba. Auch die Billig-Linie Ryanair erweitert ab Oktober hier ihr Netz.

 

»Erst der Dornröschenschlaf und jetzt der nachtaktivste Flughafen. Das konnten die Leute nicht ahnen, als sie hier ihre Häuser bauten«, sagt Wolfgang Hoffmann von der Lärmschutzgemeinschaft Köln/Bonn, der selbst in Rath-Heumar lebt. Er kämpft seit mehr als vierzig Jahren gegen den Lärm und ist längst Flugverkehr-Experte mit eigener Mess-Station am Haus und etlichen Ordnern voller Flugprotokolle, Diagramme, Gutachten. »Wir werden von allen Parteien nur an der Nase herumgeführt, ernsthaftes Wollen gibt es nicht«, so sein Fazit.

 

Die rot-grüne Landesregierung startete jetzt zum zweiten Mal einen Vorstoß, um ein Nachtflugverbot für Ferienflieger durchzusetzen. Auf Druck der Grünen und gegen große Teile der SPD wurde 2010 für Passagiermaschinen eine Kernruhezeit von 0 bis 5 Uhr im NRW-Koalitionsvertrag festgeschrieben. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der die Rechts- und Fachaufsicht hat, legte jedoch Anfang Februar ein Veto ein — wie bereits sein Vorgänger Peter Ramsauer (CSU) im Jahr 2012.

 

Dobrindt stützt sich auf die gültige Betriebsgenehmigung des Flughafens. Die geht zurück auf einen Coup von Ex-NRW-Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU), der 2008 die Flughafen-Lobby jubilieren ließ: Er verlängerte frühzeitig und ohne weitere Auflagen die ursprünglich bis 2015 geltende Nachtflugregelung bis 2030.

 

»Das Terminal 2 wurde wie ein Einfamilienhaus gebaut, und das Minis­terium hat seinen Stempel draufgemacht« (Wolfgang Hoffmann)

 

Dennoch schöpfen die Lärmschützer durch ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig neue Hoffnung. Das hatte im Dezember einer Klage von Anwohnern Recht gegeben, die gegen die Erweiterung des Vorfeldes A, einer Abstellfläche für Flugzeuge, vorgegangen sind. Demnach hätte eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und ein Planfeststellungsverfahren (PFV) stattfinden müssen. Die hat es aber nie gegeben, die zuständige Genehmigungsbehörde ist das NRW-Verkehrsministerium. Ein interessanter Nebenaspekt: Das Land ist neben Stadt Köln und dem Bund mit je einem Drittel Miteigentümer des Flughafens.

 

Parkhäuser, neue Frachthallen und Abstellflächen, ein zweites Terminal: Der Flughafen hat sich  vor allem seit den 90er Jahren bezüglich Infrastruktur und Kapazität ständig erweitert — ohne die Bürger zu beteiligen, die unter dem Lärm leiden, und trotz zahlreicher Studien, die belegen, dass Lärm krank macht. »Jahrelang haben die Betreiber in Salami-Taktik scheibchenweise Neuerungen vorgelegt, um Planfeststellungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen zu umgehen«, berichtet Horst Becker von den Grünen. Der Landtagsabgeordneter aus Lohmar, einer der Kommunen, die vom Fluglärm besonders betroffen sind, ist bekanntester Lärmschützer unter den Politikern und Staatssekretär im NRW-Umweltministerium. Dabei ist laut Becker jede Baumaßnahme, die die Stadt Köln mit Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) — und zuvor auch mit Fritz Schramma (CDU) — durchgewunken und an das Verkehrsministerium weitergegeben hat, eine Kapazitätserweiterung. »Dass es trotz aller Änderungen nie eine Planfeststellung gegeben hat, war lange Zeit politisch so gewollt. Und einige Akteure wollen das auch heute noch«, so Becker.  Flughafenbetreiber und Genehmigungsbehörde legten dies bislang anders aus:  Für sie bemisst sich die Kapazität eines Flughafens ausschließlich nach dem Bahnen-System — eine abstruse Logik für die Anwohner, ist es doch ein entscheidender Unterschied, ob alle zwei oder alle zwanzig Minuten ein Flugzeug abhebt.

 

So aber konnten nach und nach neue Terminals und Frachthallen gebaut werden, jeweils unterteilt in kleinere Baumaßnahmen, damit ein ordentliches Genehmigungsverfahren unterbleiben konnte. Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig könnte dies nun aber ein Ende haben.

 

»Das Urteil ist wegweisend, ein Meilenstein für uns!«, sagt Wolfgang Hoffmann. »Jede Pommesbude ist besser geprüft. Das Terminal 2 wurde wie ein Einfamilienhaus gebaut, und das Ministerium hat seinen Stempel draufgemacht.« Bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung müsse geschaut werden, wie sich die Erweiterungsmaßnahme auf die Umwelt auswirkt. Eine Planfeststellung mit öffentlicher Beteiligung geht noch weiter und würde die Interessen der Anwohner mit dem wirtschaftlichen Gesamtnutzen abwägen. »Da hätten wir ganz neue Angriffspunkte, um für die Zukunft verbindliche Lärmminderungspläne einzuführen«, so Hoffmann.

 

Derzeit liegen der Stadt Köln und dem NRW-Verkehrsministerium Pläne der Flughafenbetreiber für eine neue Cargo-Halle eines Drittinvestors vor. Die Flughafenbetreiber setzen auf das bewährte Verfahren. »Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Neubau eines Frachtzentrums um keine Änderung der Flughafenanlage handelt«, steht in einem Schreiben, das der StadtRevue vorliegt. NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) dürfte in eine heikle Situation geraten, denn  die Frachtunternehmen pochen auf Planungssicherheit.

 

Anders als beim Personenverkehr gilt der Kampf gegen nächtliche Frachtflüge für Kölner Lärmschützer als nahezu aussichtslos. Zu mächtig ist die Lobby der ansässigen Cargo-Unternehmen. »Uns geht es in erster Linie um die Ferienflieger in der Nacht«, sagt Wolfgang Hoffmann mit Blick auf den »Minimalkompromiss«. Eine Frage beschäftigt Hoffmann ständig, wenn er mal wieder aus dem Schlaf schreckt: »Warum muss man nachts um drei Uhr nach Antalya fliegen?«