Sicher ist nur der Schimmel

In Köln wird gerade debattiert, Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo schneller zurückzuschicken. Der Kosovo sei sicher, heißt es. Im »sicheren Herkunftsstaat« aber leben die Roma in Armut und Ausgrenzung. Jean-Philipp Baeck hat zwei Roma-Familien besucht, die ab­geschoben wurden. Allegra Schneider hat den Alltag der Roma im Kosovo fotografiert

Hisni Musa steht im Matsch und lässt es krachen. Die Plastikflaschen knallen, wenn er sie faltet und zerdrückt. Er zerrt an dem großen Sack, in dem er die leeren Flaschen sammelt, und schüttelt den Schnee herunter. Es ist Anfang März und im Kosovo zieht die feuchte Kälte noch in die Knochen, die Temperatur schwankt zwischen null und fünf Grad.

 

Seit drei Jahren lebt Hisni mit seiner Frau Bedria und sieben Kindern nun in Kosovo Polje, einer Vorstadt von Kosovos Hauptstadt Priština. Wie tausende andere waren die Musas 1999 vor dem Krieg nach Deutschland geflohen. Dreizehn Jahre lang hatten sie in der Stadt Beckum im Kreis Warendorf gelebt, ihre vier Jüngsten sind dort geboren. In Deutschland reicht das nicht, um eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Die Familie wurde im Juni 2012 abgeschoben.

 

Eine hohe, unverputzte Mauer umzieht das Haus, in dem die Musas nun mit einer weiteren Familie wohnen. Am hinteren Ende ist das Grundstück mit Blechen begrenzt, auf einem schmalen Betonpfad kommt man trockenen Fußes zum Haus. Von der Wand bröckelt der Putz, eine verrostete Axt lehnt daran, daneben ein Stapel Holz. »Geh rein und zieh’ dir eine Jacke an«, sagt Hisni zu seiner Tochter — sie sprechen Deutsch miteinander.

 

Der Gestank verbrannten Plastiks steigt in die Nase und mischt sich mit dem Geruch der Holzöfen, der über den Dächern der ganzen Stadt liegt. Hisnis Nachbar beugt sich über ein rauchendes Knäuel Kupferdraht. Es anzuzünden war der schnellste Weg, das Metall von seiner Isolierung zu trennen. Wie viele Angehörige der Minderheit der Roma verdient er sein Geld mit Recycling, ihm bleibt wenig anderes.

 

Sechs Euro gibt es für einen großen Sack Pfandflaschen, dafür muss sich Hisni Musa zwei bis drei Tage durch die Mülleimer der Stadt wühlen

 

Auch die Musas sind Roma. Hisni lagert die gesammelten Flaschen vor dem Haus. Sechs Euro gibt es für einen großen Sack, dafür muss er sich zwei bis drei Tage durch die Mülleimer der Stadt wühlen. Auch seine Kinder gehen manchmal los. Einen Job bekommt Hisni hier nicht. Während die Arbeitslosigkeit im Land insgesamt auf über dreißig Prozent geschätzt wird und unter Jugendlichen mindestens doppelt so hoch ist, liegt sie unter den Roma bei geschätzten 99 Prozent. Sie sind die ärmsten im Land, wohnen dort, wo die Kommunen aufhören, die Straßen zu befestigen.

 

Bis heute ist die Trennung nach vermeintlicher Herkunft, ob man albanisch oder serbisch spricht oder zu einer Minderheit gezählt wird, im Kosovo von alltäglicher Bedeutung. Nach der Unabhängigkeitserklärung des kleinen Staates 2008 ist der Konflikt mit Serbien noch lange nicht gelöst.

 

Überall im Land sind auf Straßenschildern die serbischen Namen der Städte übersprüht. Manchmal rächen sich die Serben und übermalen ihrerseits die albanischen Bezeichnungen. Übrig bleibt dann nur ein übermaltes Straßenschild, auf dem nichts mehr zu erkennen ist. Der Hass sitzt tief. Das Trauma des Krieges, die Ermordung der Angehörigen, die physischen und psychischen Zerstörungen sind nicht vergessen. Vor allem die Roma bekommen das nun zu spüren. Viele berichten von alltäglichen Beschimpfungen, von Angriffen, davon, dass sie auf der Straße verprügelt oder mit Steinen beschmissen wurden. Von der Polizei erwarten sich die meisten keine Hilfe — oder befürchten weitere Demütigungen.

 

Dass er in ein Land in diesem Zustand abgeschoben wurde, ist für Hisni Musa unbegreiflich. Ob man in Deutschland, ob Angela Merkel nicht wisse, wie es im Kosovo ist, fragt er und wollte schon zum Feldlager der Bundeswehr fahren, um den Soldaten zu erklären, wie es ihm und seiner Familie nach der Abschiebung ergeht. 700 Soldatinnen und Soldaten des deutschen KFOR-Kontingents sind bis heute in Prizren, etwa achtzig Kilometer südwestlich von Priština, stationiert. »Es ist zu weit«, sagt Hisni. Die paar Euro für den Bus muss er sparen.

 

Fünfzig Euro Sozialhilfe bekommt die ganze Familie im Monat. Seine vierjährige Tocher ist zuckerkrank und braucht Insulin. Allein die Diabetes-Teststreifen kosten jeden Monat mehr als das, sagt Hisni. Seine Frau Bedria hatte einen Tumor am Hals, der noch in Deutschland entfernt wurde. Mit der Nachsorge im Kosovo fühlen sie sich allein gelassen. Anders als in den offiziellen Erklärungen des Auswärtigen Amtes behauptet wird, sind Behandlungen und Medikamente im Kosovo nicht kostenfrei.

 

Wegen der hohen Arbeitslosigkeit, der schlechten medizinischen Versorgung, gesundheitlicher Probleme und aus Unzufriedenheit mit der Regierung sind in den letzten Monaten tausende Menschen aus dem Kosovo geflohen — nicht mehr vornehmlich Angehörige der Minderheiten, sondern auch Kosovo-Albaner: Menschen, die ihr Hab und Gut verkaufen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

 

Als Reaktion auf die Zunahme der Flüchtlingszahlen hat das Land Bayern deshalb angekündigt, den Kosovo zu einem »sicheren Herkunftsstaat« erklären zu wollen. Seit November stehen auch Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina auf dieser Liste. Das bedeutet, dass Anträge auf Asyl fast immer abgelehnt und die Menschen innerhalb weniger Wochen zurückgeschickt werden können. Aktuelle Zahlen der Bundesregierung belegen allerdings, dass die Neu-Klassifizierung nicht zu weniger Zuwanderern führte. Stattdessen wurde damit die Diskriminierung der Minderheiten in den betroffenen Ländern per Dekret für nichtig erklärt. Für den Kosovo würde das nicht anders aussehen.

 

In der Küche zeigt Hisni über das Waschbecken, an die Decke, in die Ecken. Überall wächst der Schimmel. »Das macht uns krank«, sagt er. Die Ausstattung ist übersichtlich, drei, vier Emaille-Töpfe stehen auf dem Schrank, eine Flasche mit Spülmittel, ein Lappen. Die Stühle um den Esstisch fallen fast auseinander. Die Einrichtung wurde nach der Abschiebung vom Rückkehrerprojekt »URA 2« des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bezahlt, das auch von Nordrhein-Westfalen finanziert wird.

 

Die Miete für das Haus übernimmt die Kommune, wie lange noch, weiß Hisni nicht. Im Bad steht das Wasser, der Boden ist nackter Estrich. Im Wohnzimmer sitzen Hisnis Frau Bedria und ihre Töchter auf dünnen Polstern auf dem Boden. Rechts ein Schrank, links eine Küchenhexe, auf der Bedria kocht und wo Klamotten zum Trocknen hängen. Das ganze Jahr über habe er das Holz für den Winter gesammelt, sagt Hisni.

 

»Auf der Straße beschimpfen sie uns: ›Geh’ weg Zigeuner‹, sagen sie.«

 

Das Telefon klingelt und Ragip ruft an. Er will wissen, wie es der Familie geht. Ragip Arslani und seine Frau Sadije wurden auch aus Deutschland abgeschoben, sie waren im gleichen Flugzeug wie die Musas — ein Sammelflieger: Frauen, Kinder, mehrere Familien, mehrere Dutzend Polizisten, einige Männer in Handschellen. Das Rentnerehepaar Arslani musste als einzige in der Familie zurück in den Kosovo, ihr Sohn hatte eine Deutsche geheiratet und blieb mit den Enkelkindern in Deutschland. Fünfzehn Jahre haben sie in Recklinghausen gelebt. Ragip hat Asthma und zu hohen Blutdruck, Sadije ist zu achtzig Prozent behindert. Im Kosovo sind sie ebenso verloren und entfremdet angekommen wie die Musas. Sie haben danach den Kontakt gehalten und besuchen sich manchmal.

 

Die Arslanis wohnen in Tophane, einem Stadtteil im Zentrum von Priština. Von dem Vorort, wo die Musas wohnen, sind das vielleicht zwanzig Minuten mit dem Bus. Sie seien wohl die einzigen Roma in Priština, sagt Ragip, die meisten anderen lebten zusammen in den Vororten in eigenen Viertel, etwa der Mahalla in Kosovo Polje. Die Arslanis kennen in Tophane niemanden mehr. In ihrem früheren Haus, gleich um die Ecke, lebten nun Albaner. »Auf der Straße beschimpfen sie uns«, sagt Ragip. »›Geh’ weg Zigeuner‹, sagen sie.«

 

Vor dem Krieg hat Ragip als Telefonist in der Arbeitsagentur in Priština gearbeitet, Sadije war Reinigungskraft in einer Bank. Zusammen bekommen sie nun etwa 200 Euro Rente, das reiche kaum, um die Stromrechnung und die Miete zu bezahlen. Die Nachtspeicherheizung frisst viel Energie. Die beiden heizen deshalb nur das Schlafzimmer, in dem sich nun ihr Leben abspielt. »Manchmal reicht das Geld nicht zum Essen«, sagt Ragip.

 

Er und Sadije sitzen auf dem Bett. »Der Fernseher ist mein einziger Freund«, sagt sie. Drei Jahre nach ihrer Abschiebung wirken beide, als könnten sie es bis heute nicht fassen. »Eine Katastrophe«, sagt Sadije immer wieder, »eine Katastrophe«. Selbst die Unterlagen der Ausländerbehörde Recklinghausen liegen in einem Fach im Schrank noch griffbereit. Der letzte Brief kam im Juni 2014, die Einreisesperre nach der Abschiebung wurde aufgehoben. An diesen Brief knüpft sich Ragips und Sadijes ganze Hoffnung auf eine Rückkehr nach Deutschland, wo ihre Enkelkinder aufwachsen. Sie haben sie drei Jahre nicht mehr gesehen.