Wo die Gegensätze Kraft erzeugen

Die Sängerin Nneka verwandelt Schwermut in anmutigen Tanz

Alle tanzen, während es »too many die« aus den Boxen tönt. Nneka Egbunas Stimme ist voller Kraft, gleichzeitig heiser, belegt; wie eine riesige Schwingungsmembran auf der getrommelt wird, Sand und Staub wirbeln durch die Luft. Zentral für die Musik der in Hamburg lebenden Sängerin mit nigerianischen Wurzeln ist eine besondere Kunst: Sie kommt mit Grooves, die das Publikum aufrufen, sich zu vergessen — und mit Texten, die auffordern, sich zu erinnern und hinzuschauen. Darin gleicht Nneka Vorbildern wie Fela Kuti oder Bob Marley. Zu bissig ihre Texte, um ganz im Pop-Zirkus anzukommen, zu leicht ihre Musik, als dass man sie nur politisch auffassen könnte. Nneka findet ihre Kraft dort, wo sich Gegensätze nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. Anfang März ist mit »My Fairy Tales« (Soulfood/Believe) das sechste Studioalbum der 34jährigen Sängerin erschienen. Wie gewohnt mischt sie Soul, Afrobeat und Reggae, wobei der Off-Beat dieses Mal klar die Stoßrichtung vorgibt.

 

Vor zehn Jahren erschien Nnekas Debütalbum »Victim Of Truth«. Die Sunday Times nannte es »kriminell übersehen« und setzte es auf eine Stufe mit »The Miseducation of Lauryn Hill«. Kein abwegiger Vergleich. Nicht in erster Linie weil Nneka wie Lauryn Hill Gesang und Rap mischt, sondern wegen der Art wie sie ihre Themen angeht: Sie legt zwar ihren Finger auf Missstände, aber nicht ohne den Blick davor auf sich selbst zu richten. Bei Nneka ist der Ausgangspunkt ihrer Fragen und ihrer Kritik immer sie selbst. Ihre persönlichen Kämpfe verflechtet sie mit einem größeres Gebilde, mit dem sie sich auseinandersetzt. Auseinander setzen muss.

 

Widersprüche entdeckt sie nicht nur in der Welt. Wenn es um Stärke und Schwäche, um Freiheit und Unterdrückung geht, dann redet Nneka von den Menschen in ihrer Heimat, den Menschen in Hamburg, den Menschen auf der ganzen Welt – und von sich selbst.

 

Ego, Eitelkeit, Korruption und Ungleichheit prangert Nneka in ihren Texten an. Eine handfeste Lösung hat auch sie nicht, das gibt sie zu. Sie tritt den Problemen wie eines ihrer großen Vorbilder, Bob Marley, entgegen, wenn sie in ihren Texten Frieden, Liebe und Einigkeit herbeisingt. Es bleiben hinter diesen abstrakten Größen vor allem zwei weitere abstrakte Zustände zurück: Ratlosigkeit und Rastlosigkeit.

 

Gefühle, die Nneka seit ihrer Kindheit in Nigeria kennt. Sie erlebt damals in Warri, einer Stadt in der Delta-Region Nigerias, wie der Wohlstand in ihrem Land wächst; Öl macht viele Menschen reich — und viele Menschen neidisch. Die Stämme streiten sich um Gebiete, man attackiert oder grenzt sich ab. Immer wieder fällt dort der Strom aus, korrupte Polizisten streifen durch die dunklen Straßen. Nneka bezeichnet die Menschen ihrer Heimatstadt als aggressiv. Bis heute kritisiert sie in ihren Texten die Stammesstrukturen in Nigeria, die ein gemeinsames Fortschreiten verhindern würden. Auf »Pray For You«, dem eingangs zitierten Song von ihrem neuen Album zum Beispiel, thematisiert sie die Gewalt durch Boko Haram. Soviel sie aber von Hass berichten mag, so bleibt die Liebe das Leitmotiv auf all ihren Alben. »I still pray for you« singt sie denen ins Gesicht, die ihr die Hoffnung nehmen.

 

Dem feindlichen Klima hat Nneka viel, nun, zu verdanken. Es hat sie stark beeinflusst. Das Gefühl sich aus Selbstschutz immer bewegen zu müssen, hat ihre künstlerische Ader geweckt. Das Negative, von dem Nneka sich umgeben sieht und das sie fühlt, entwickelt sich zur treibenden Kraft für ihre Musik. In Nigeria allerdings bleibt ihre Kreativität vorerst unterdrückt. Mit dem Umzug nach Deutschland ändert sich vieles. In einem katholischen Kinderheim lernt sie Deutsch, um das Abitur nachholen zu können. Mit 19 beginnt sie Anthropologie zu studieren. Doch ist Deutschland für Nneka nicht nur ein harmonischer Zufluchtsort — im Gegenteil: Sie muss sich weiterhin wehren, weiterhin schützen, es haben sich nur die Themen geändert. Zwar ist sie dem Wahnsinn in ihrem alten Heimatland, wie sie den Zustand damals in ihrem Land selbst beschreibt, entkommen, doch findet sie in Deutschland vorerst auch keinen Frieden. Sie sieht sich rassistischen Anfeindungen ausgesetzt und stellt fest: Ich bin nicht weiß.

 

Für Nneka ist diese wiederkehrende Erfahrung über die Jahre das Signal, sich mit ihren Wurzeln auszusöhnen. 2009 zieht sie für vier Jahre nach Lagos. Einige Jahre vorher kommt die Musik zu ihr. Bis heute kann sich Nneka nicht wirklich erklären, wie das losging mit ihrer Karriere. Aber wie es losging und wie es weiterging: Sie arbeitete mit Künstlern wie Damian und Ziggy Marley zusammen, Nas und Lenny Kravitz. 2009 unterschrieb sie bei Sony, spielte bei Letterman im us-amerikanischen TV und wurde nach und nach Nigerias relevantester Musikexport. Das alles klingt so schlüssig. Und Nneka ist dankbar, das betont sie stets, aber sie spricht auch von einem langem, einem schweren Weg. Klingt leicht, aber trägt doch so viel Schweres in sich: Hier gleicht Nnekas Karriere ihrer Musik.

 


STADTREVUE PRÄSENTIERT
Konzert: Do 9.4., Bürgerhaus Stollwerck, 20 Uhr