Inventur und Illusion

Locas In Love haben mit »Use Your Illusion 3&4« das opulenteste Kölner Indie-Album der letzten Jahre vorgelegt

Jan Niklas Jansen (Gitarre & Geräte) und Björn Sonnenberg (Gitarre, Text & Gesang) haben Kuchen mitgebracht, von denen einer später auf dem Teppich landen wird. Zu besprechen gibt es die waghalsig betitelte neue Platte »Use Your Illusion 3&4« (Downbeat Records/Warner) von Locas In Love, Kölns vielleicht bester Indie-Pop Kombo — eine Qualitätsbeschreibung, der die vier Mitglieder der Band sicher vehement widersprechen würden.

 

»Use Your Illusion 3&4« nähert sich dem Format Doppelalbum, diesem mythologischen Behemoth der Rockgeschichte, nicht mit Pomp und Multineck-Gitarren, sondern in Gestalt einer gewohnt introspektiven Gesangsplatte und eines krautrockig-expressiven, rein instrumentalen Gegenstücks. Wie viel Arbeit in beiden Hälften steckt, warum Ironie ein schwer zu manövrierendes Vehikel ist und was man von NoFX über Slogans lernen kann, erfuhren wir im Gespräch.

 


Ihr seid bekannt für euren ironiefreien Umgang mit Referenzen: Bildet »Use Your Illusion 3&4« da keine Ausnahme?

 

Björn Sonnenberg: Ironie ist ein Stilmittel, das ich nicht beherrsche, wirklich wahr. Ironie birgt schnell die Gefahr in etwas Negatives umzukippen, etwas Herablassendes, wo der Witz darin liegt, sich über etwas zu erheben. Aus Ironie einen liebevollen, umarmenden Humor zu gewinnen, ist möglich, aber schwer.

 

Jan Niklas Jansen: »Use Your Illusion 3&4« ist nicht ironisch, sondern einfach ein guter Witz (lacht).

 

Sonnenberg: Dieser Witz war für uns etwas gesundes, um mal mit programmatischen Albumtiteln wie »Lemming« oder »Nein!« zu brechen. Man könnte sich auch auf vermeintlich coolere Leute beziehen als auf Guns’n’Roses. John Cale zum Beispiel. Aber das wäre auf Sicherheit spielen.

 

Seht ihr euch damit in einer New-Sincerity-Tradition?

 

Jansen: Wir sind Kinder der 90er, das war ja die Hochphase der Kategorie »peinliche Lieblingslieder«. Das fand ich immer scheiße. Bei Zitaten genauso — sich bei etwas bedienen und ihm gleichzeitig die lange Nase zeigen, bringt nichts.

 

Sonnenberg: Mit der Idee von New Sincerity kann ich etwas anfangen, weniger als Genrebegriff, mehr als Haltung. Ab einem gewissen Punkt setzt eine Ermüdung ein, wenn alles codiert ist und zig-fach gebrochen. Der Verzicht auf Ironie zugunsten einer Form von Aufrichtigkeit ist aber kein zwangsläufiger Ausschluss von Humor. Man kann seine Kunst sehr ernst nehmen, ohne sich dabei selbst zu ernst zu nehmen.

 

Bestimmte Textstellen wirken für Rocksongs überraschend wertfrei, so klingt zum Beispiel »Da ist eine Karriere und sie wartet schon auf dich« weniger nach Ausbeutung als nach einer tatsäch­lichen Chance. Ganz ähnlich bei: »Meine Schwester bekommt auch schon wieder ein Kind«.

 

Sonnenberg: Ich finde es angenehm, auch mal Dinge im Ton einer nüchternen Feststellung vorzutragen. Interpretationen sagen oft mehr über die Person aus, die ihn auslegt, als über den tatsächlichen Text. Diese Subjektivität ist ja auch ein großer Reiz an Pop. Beim Schreiben wollte ich teilweise weg von unserem manchmal fast schon didaktisch wirkenden Ansatz. Ich wollte sehen, was passiert, wenn es extrem persönlich wird, ohne eins-zu-eins unsere Autobiographie abzubilden. Ich wollte sehen, ob sich das Ergebnis von uns als Personen ablösen kann und für andere funktioniert.

 

Jansen: Man kann entweder in allgemeineren Sätzen versuchen, das große Ganze zu erfassen, das hat dann aber schnell etwas von Kalenderblatt-Aphorismen. Oder man kann mikroskopisch ganz spezifische Details ansehen und davon auf eine nachvollziehbare Allgemeingültigkeit schließen.

 

Was fasziniert euch an der Figur des Teenagers?

 

Sonnenberg: Der Teenager befindet sich in einem sehr spannenden Zwischenzustand. Er ist noch nicht angekommen, er empfindet wahnsinnig intensiv. Über diese Extremität der Empfindung wird sich oft lustig gemacht, aber es ist ja echt: Wenn dir als Teenie das Herz gebrochen wird, ist das wirklich wie das Ende der Welt. Ich finde diesen Imperativ »Act Your Age« grauenhaft. Als müsse man irgendwann eine vermeintlich erwachsene, flache emotionale Landschaft annehmen, um sich altersgemäß zu verhalten. Als Künstler und als Mensch finde ich den Teenager spannender als so eine Peter Pan-Fantasie. Ein eskapistisches »Ich bleibe Kind« ist so langweilig wie ein Erwachsener, der sagt, »die Jugend ist vorbei«.

 

Ihr habt das Album bei John Agnello (Sonic Youth, Dinosaur Jr.) in New York mischen lassen. Danach habt ihr noch lange mit dem Material gearbeitet.

 

Jansen: Die Arbeit an den Instrumentals war das Gegenteil von der Produktion der Pop-Songs. Bei den Songs haben wir fast wahnhaft an Details gefeilt und über zwei Jahre lang immer wieder Dinge verändert und verworfen. Bei den Instrumentals standen wir zu viert mit Instrumenten in unserem Studio, spielten drauflos, und wenn sich etwas gut anfühlte, wurde es nicht immer wieder in Frage gestellt, sondern als fertig betrachtet. Dieses schnelle, unmittelbare Musizieren war unheimlich zufriedenstellend und auch heilsam nach der obsessiven, langen Produktionsphase. Es half uns sehr, uns zu erinnern, dass es auch unkomplizierter geht.

 

Ist der Satz »Ich bin der Junge, den Du nicht Mann nennen sollst« euer »Don’t Call Me White«?

 

Sonnenberg: Absolut. Die Mehrdeutigkeit des Satzes begrüße ich natürlich, gemeint ist aber in der Tat, dass an dem Wort »Mann« so viel an Machtstruktur dranhängt. Es ist unsere Absage an den Mann als Sinnbild einer patriarchalischen Ordnung. Die NoFX Zeile »Don’t Call Me White. Represents everything I hate ...« hat mich sicher dazu angestachelt, eine herrschende Kategorie zu verwehren, zu der ich theoretisch selbst gehöre, und als weißer, heterosexueller Mann zu sagen: Ich bin Feminist und möchte nicht für ein um den Mann herum gebautes System stehen.