All That Jazz

Komiker bei der Arbeit: Mülheim – Texas: Helge Schneider hier und dort von Andrea Roggon

Helge Schneider sitzt und wartet. Eine typische Interviewsituation vor der Kamera: Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis Bild und Ton eingerichtet sind und die Filmemacherin ihre erste Frage stellt. Sie will etwas über die Freiheit des Komikers wissen: »Freiheit ist nichts, was man hat, die muss man sich nehmen«, sagt Schneider, lächelt, steht auf und geht. Gleich am Anfang von Andrea Roggons wunderbarem Dokumentarfilm »Mülheim — Texas. Helge Schneider hier und dort« steht also ein Scheitern — aber eines, das vielsagender als viele professionell »gelungene« Interviews ist. Die Intelligenz, Improvisationsgabe und den Humor Schneiders bringt diese kurze Szene ebenso auf den Punkt wie den Film selber, der ohne Scheu eingesteht, dass das Multitalent aus Mülheim an der Ruhr letztlich undurchdringbar bleiben wird.

 

Schneiders Widerspenstigkeit verhindert von vornherein die Routinen der Künstlerdokumentation. Es gibt also keinen chronologischen Durchgang durch die Höhen und Tiefen der Karriere, kein Durchleuchten der privatesten Winkel der Biografie; ebenso wird dankenswerterweise auf irgendwelche »talking heads« von Weggefährten, Bewunderern oder Freunden verzichtet. Stattdessen sieht man Schneider bei der Arbeit: während der Proben auf der Bühne, am Schreibtisch beim Kürzen eines Drehbuchs oder beim aufräumen des Gartens mit einem vorsintflutlichen Trecker. Und natürlich macht Schneider auch einfach so vor der Kamera Quatsch an allen möglichen Orten, zum Beispiel in der Badewanne. Am schönsten sind immer wieder die Szenen, in denen nachvollziehbar wird, dass der Wahnsinn Methode hat. Wenn etwa Spannungen zwischen Schneider und seiner Band während der Probe später beim Auftritt Teil der Show werden. Oder wenn Schneider mit gebrochenem Englisch recht unbeholfen hinter der Bühne einer afroamerikanischen Sängerin und Human-Beatbox-Virtuosin begegnet und diese Fremdheit dann zum Motor der Komik zwischen den beiden auf der Bühne wird.

 

Der Kern von Schneiders Kunst ist die Improvisation, das macht »Mülheim — Texas« immer wieder deutlich. Ungeklärt bleibt, ob Schneider deswegen den Jazz liebt oder ob es umgekehrt ist: er vom Jazz die Liebe zum Spiel ohne Sicherheitsnetz gelernt hat. Aber egal, was zuerst da war, beneidenswert ist, dass der 59-Jährige die Angst vor dem Scheitern nicht zu kennen scheint — oder vielleicht ihre Überwindung zur Grundlage seiner Kunst gemacht hat. Auf jeden Fall muss man sich Helge Schneider als bewundernswert freien Menschen vorstellen.

 


Mülheim — Texas: Helge Schneider hier und dort. D 2015, R: Andrea Roggon,
89 Min. Start: 23.4., Preview mit Regisseurin: 20.4., Off Broadway, 20 Uhr