Utopie in Beton: Häuser in Chorweiler | Foto: Manfred Wegen

Hoffnung für die Utopie-Ruine

Die stadteigene Wohnungsgesellschaft GAG plant,

1200 zwangsver­waltete Wohnungen in Chorweiler zu kaufen

Pariser Plätze gibt es einige. Meist hält der klangvolle Name, was er verheißt, etwa in Berlin-Mitte oder in München-Haidhausen. In Köln-Chorweiler ist die Szenerie eine andere. Wohin man auch schaut, blickt man auf Wohnhochhäuser: ein stufenförmiges Betongebirge in Beige, Braun und dreckigem Gelb, das bundesweit zur Ikone für abgehängte Stadtviertel geworden ist.

 

»Jetzt haben wir endlich eine Lösung für Chorweiler gefunden. Ich bin stolz wie Bolle und kann nur hoffen, dass alle Politiker unabhängig von Parteiinteressen oder persönlichem Gerangel sich für Chorweiler einsetzen. Jetzt ist die einmalige Chance da, den Stadtteil rumzureißen«, sagt Jochen Ott, der für Wohnungspolitik zuständige Vize-Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag und Kölner OB-Kandidat. Es geht um 1200 heruntergekommene Wohnungen, die seit 2005 unter Zwangsverwaltung stehen und am 13. Januar 2013 versteigert werden sollten. Im Viertel ging die Angst um, dass ein international agierender Immobilienkonzern mit überzogenen Renditeerwartungen zuschlagen könnte. In ­letzter Minute hatte die Stadt im Januar 2013 eine Aussetzung der Versteigerung bewirkt. Seitdem habe die Stadtverwaltung an einem eigenen Konstrukt gearbeitet, wie Ott sagt. »Heuschrecken, die Immobilien ausbluten lassen, müssen als Investor verhindert werden. Wir möchten wieder menschenwürdiges Wohnen ermöglichen«, so Ott. Das Projekt, ein ureigenes sozialdemokratisches Thema, wurde 2013 »zur Chefsache« erklärt.

 

Nun hat Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) ein Konzept vorgestellt: Die stadteigene Wohnungsgesellschaft GAG soll die heruntergekommenen Hochhausblöcke kaufen und die Gläubiger — die landeseigene NRW-Bank als Hauptschuldner und das umstrittene Immobilienkonsortium Talos — auszahlen. Von rund 48 Millionen Euro ist die Rede. Die Wirtschaftlichkeit des Chorweiler-Projekts könne nur durch die Unterstützung der Stadt gewährleistet werden, heißt es bei der GAG. Dafür haben der GAG-Vorstand und die Stadtspitze einen so genannten »Betrauungsakt« ausgearbeitet, wie er bereits bei kommunalen Verkehrsunternehmen praktiziert wird. Das könnte im Widerspruch zum EU-Recht stehen, erklärt Barbara Moritz, die für die Grünen im GAG-Aufsichtsrat sitzt. Deshalb müsse der Betrauungsakt noch juristisch wasserdicht gemacht werden. Über zehn Jahre sollen insgesamt 32 Millionen Euro aus dem städtischen Haushalt gezahlt werden. Im Gegenzug verpflichtet sich die GAG, die Gebäude zu sanieren. Ein recht undankbares Vorhaben, der Sanierungsstau in den zwangsverwalteten Wohnungen ist immens: undichte Decken und Fenster, kaputte Heizungen, feuchte Wände, Schimmelpilzkolonien auch in Kinderzimmern, kaputte Aufzüge bei mehr als 20 Stockwerken — für Senioren und Familien mit Kindern unzumutbar.

 

In Chorweiler, im äußersten Kölner Norden, wohnen 13.000 Menschen auf zwei Quadratkilometern. Das einstige Vorzeigeprojekt des sozialen Wohnungsbaus gilt heute als grandioser Flop. Vermieter der größten Plattenbausiedlung in NRW war bis in die 80er Jahre die »Neue Heimat« des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nachdem die Hochhäuser kurz der Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) gehörten, gingen sie in Privatbesitz über, die Verwahrlosung begann. Auch die Sozialstruktur wurde immer homogener — heute lebt mehr als die Hälfte der Einwohner von Transferleistungen, drei von vier Bewohnern haben einen Migrationshintergrund.

 

Mit Hilfe der GAG soll der Stadtteil nach SPD-Plänen nun zumindest stabilisiert werden. 42.000 Wohnungen besitzt die städtische Wohnungsgesellschaft in der gesamten Stadt. 1600 Wohnungen sind es im Viertel Chorweiler, mit dem Kauf der Hochhäuser kämen jedoch auf einen Schlag noch mal 1200 hinzu. Dies wäre dann etwa die Hälfte aller Wohnungen dort. »Der Zwangsverwalter drängt auf eine Lösung«, sagt Ott mit Nachdruck. »Wenn wir nicht schnell eine politische Mehrheit hinbekommen, sind wir am gleichen Punkt wie vor zwei Jahren.« Zwei Gremien müssen dem Kauf zustimmen: der GAG-Ausfsichtsrat und der Stadtrat. Bei der GAG hält man sich bedeckt. »Vor der Aufsichtsratssitzung werden wir uns in dieser Sache nicht mehr öffentlich äußern«, sagt Pressesprecher Jörg Fleischer. Eine Entscheidung wird für den 11. Mai erwartet. Das Datum ist wichtig: Ende Mai nimmt ein neuer Aufsichtsrat bei der GAG seine Arbeit auf, der die veränderten Mehrheitsverhältnisse im Rat abbildet und in dem auch die Linkspartei, die den Ankauf unterstützt, einen Sitz haben wird. Aber selbst dann ist eine Mehrheit nicht sicher. Die Vertreter der CDU seien gegen die Übernahme, ebenso ein Teil der Arbeitnehmervertreter, ist in GAG-Kreisen zu hören.

 

Die Entscheidung im Stadtrat, die einen Tag später fallen soll, scheint klarer: Das SPD-Projekt wird von Linken und Grünen unterstützt — wenn auch mit kritischen Untertönen. Kirsten Jahn (Grüne) freut sich über die Lösung, warnt aber auch vor zu hohen Erwartungen an die GAG: »Sie reparieren nur das nötigste, mehr ist auch nicht drin mit diesen Mitteln.« Barbara Moritz (Grüne) fordert zudem ein »integriertes Handlungskonzept«, damit auch besser verdienende und ausgebildete Menschen nach Chorweiler ziehen und der Stadtteil wieder attraktiv wird. Für die Quartiersentwicklung hofft die Stadt auf Fördergelder von Land, Bund und EU, konkrete Zusagen gibt es jedoch noch nicht.