»Wir haben das Rabenmutterding verinnerlicht«

Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs: Ein Gespräch mit Sonja Heiss über ihre Tragikomödie »Hedi Schneider steckt fest«, Angststörungen und zu hohe Ansprüche an sich selbst

Können Angststörungen, wie sie Ihre Hauptfigur Hedi Schneider hat, komisch sein?

 

Für die Betroffenen bestimmt nicht. Hedi findet sich nicht lustig, wenn sie vollgepumpt mit Tranquilizern in den Tierladen geht und einen Hasen kauft. Sie nimmt das ja total ernst. Aber die Situationen, in die man mit so einer Angststörung manchmal gerät, können schon sehr skurril sein. Da sitzt man etwa im Wartezimmer beim Psychiater neben einem tätowierten Harley-Davidson-Typ und fragt sich, was der jetzt zum Beispiel für ein psychisches Problem haben könnte. Mit Therapeuten gibt es ebenfalls viele skurrile Momente. 

 

 

Was macht eine solche Angststörung mit einer Liebesbeziehung?

 

Die Auseinandersetzung mit dieser Krankheit verändert eine Beziehung grundlegend. Das größte Problem ist die schwere Nachvollziehbarkeit und dass man letztlich gar nicht mehr an den Partner herankommt. Ein vertrauter Mensch, der vorher noch als selbstständige Person durchs Leben gegangen ist, wird zu einem kleinen Kind, das umsorgt werden muss. Dadurch gerät die Balance einer Beziehung ganz schön außer Kontrolle. Alles dreht sich nur noch um die Betroffene. Wenn man Kinder hat, versucht man es von ihnen fernzuhalten, was natürlich nie funktioniert. Das Kind versteht gar nicht, was das für eine Krankheit ist: Die Mutter hat ja weder Schnupfen noch Fieber. Und nach so einer Krise müssen die Betroffenen mehr auf sich achtgeben, was ihnen oft als Egoismus ausgelegt wird.

 

 

Warum sucht der Film nicht nach der Ursache für die Krise?

 

Eine Angststörung kann durch die verschiedensten Dinge ausgelöst werden. Bei manchen geschieht es durch einen Unfall, bei anderen einfach nur durch eine Grippe. Ich habe bewusst viele kleine Auslöser aufgeführt, um zu verhindern, dass irgendwelche expliziten Erklärungs-modelle entstehen. Bei Hedi ist der Aspekt der Verdrängung wichtig: Wenn ihr etwas Unangenehmes zustößt, lenkt sie sich ab oder macht einen Witz drüber, um es bloß nicht an sich ran zu lassen. Trotzdem sickern Erlebnisse wie der Tod der Tante oder der Selbstmordversuch eines Kollegen in sie hinein und bahnen sich ihren Weg. Frauen sind übrigens viel häufiger von Angststörungen betroffen als Männer. Manche Psychologen sagen, dass die Angst oft eine nach innen gerichtete Wut ist, weil Frauen in ihrer Sozialisierung nicht gelernt haben, sie richtig rauszulassen. 

 

 

Inwieweit ist Hedi Schneider auch eine typische Vertreterin ihrer Generation, die zwischen Beruf und Familie permanent an der Belastungsgrenze steht?

 

Auf der einen Seite ist es ja toll, dass wir Frauen arbeiten gehen können und nicht mehr nur zu Hause mit unseren Kindern hocken. Andererseits ist es schon oft so, dass die Frauen sich ein gutes Stück mehr um die Kinder kümmern. Und wenn sie dann genau so einen Vollzeitjob haben, wird das zu einer echten Belastung. Außerdem haben wir ja auch noch diese wahnsinnig hohen Ansprüche an uns und unser Lebens-glück. Früher hat eine latente Zufriedenheit vielleicht ausgereicht. Aber heute sollen wir neben beruflichem Erfolg und familiärem Glück auch noch ein super Sexleben haben. Es geht nicht nur um die Überbelastung, sondern vor allem um die überzogenen Ansprüche, die wir an uns stellen. Unsere Mütter haben nicht viel mit uns Kindern gespielt. Aber heute wollen die Mütter auch noch die besten Spielgefährten ihrer Kinder sein und plagen sich mit Gewissens-bissen, weil sie es eigentlich hassen, mit ihren Kindern Schlümpfe zu spielen. Wir haben dieses Rabenmutterding total verinnerlicht.

 

 

Hatte es die Generation Ihrer Mütter wirklich einfacher?

 

Wir sind natürlich emanzipierter. Aber die vielen Möglichkeiten, die wir heute haben, sind eben auch eine Überforderung. Ich kann mich morgen wieder vom Vater meiner Kinder trennen, einen anderen Beruf ausüben oder noch einmal studieren. Ich will nicht darüber jammern, und natürlich möchte ich diese Freiheiten und meinen Beruf weiterhin haben. Aber trotzdem gibt es manchmal Momente, in denen ich denke: »Och, jetzt einfach mal nur so einen Versorger und gut ist.«

 

 

Sie sind nicht nur Filmemacherin, sondern haben vor vier Jahren auch einen Band mit Erzählungen herausgebracht und arbeiten gerade an Ihrem ersten Roman. Wie unterscheidet sich literarisches Schreiben vom Drehbuchschreiben?

 

Literarisches Schreiben ist viel freier und macht mir ehrlich gesagt auch mehr Spaß. Beim Dreh-buchschreiben verzweifle ich ganz oft, weil alles, was man ausdrücken will, in Form einer Handlung, einer Szene passieren muss. Und man ist teilweise so gehemmt aus Angst vor Klischees und weil man denkt, dass man das alles schon einmal gesehen hat. Das ist interessanterweise in der Literatur nicht so. Beim literarischen Schreiben kann ich in den Zeiten springen, die Gedanken und Gefühle der Figuren direkt wiedergeben, mit der Sprache spielen, mit Metaphern arbeiten — und muss vor allem nicht daran denken, ob das finanzierbar ist, was ich da gerade schreibe.