»Sissi-Boxer«, der Name der Gruppe nimmt die Klischees des soften Schwulen und der unglamou­rösen Lesbe auf die Schippe | Foto: Manfred Wegener

Kurz und schmerzvoll

Im Juni findet in Köln die »Pink Power« statt. Bei dem queeren Kampfsportfestival lernt man, wie man austeilt — im Sport, aber auch im Alltag. Wir haben uns in den Ring gewagt

»In der Szene ist es immer noch ein bisschen exotisch, schwul oder lesbisch zu sein«, sagt Boxtrainerin Sonja Küber. »Da trainieren schon sehr spezielle Leute. Gerade im Vollkontakt.« »Diese Szene«: Das sind die sogenannten Martial Arts, Kampfsportarten mit zumeist asiatischen Wurzeln, wie etwa Karate, Taekwondo oder Judo. Und »Vollkontakt« bedeutet etwa im Kickboxen, dass ein Kampf nicht nur durch Punkte, sondern auch durch einen K.O. entschieden werden kann.   

 

Schlagworte, die man vielleicht nicht unbedingt mit der schwul-lesbischen Community in Verbindung bringen würde. Das Thema »Homosexuelle im Sport« wird hierzulande vor allem vom Fußball dominiert. Schwule Kicker kämpfen mit ihrem Coming-out, Fans sind ignorant gegenüber lesbischen Fußballerinnen oder leisten sich homophobe Ausfälle. Vom SC Janus wird dagegen seltener erzählt. Dabei ist der älteste und mit mehr als 1.700 Mitgliedern auch größte schwul-lesbische Sportclub in Europa eine Erfolgsgeschichte. Seit 35 Jahren werden hier rund 45 Sportarten trainiert. Kampfsport gehört selbstverständlich dazu.

 

Dieses Jahr sammeln sich queere Kampfsportler und -sportlerinnen in Köln. »Pink Power« heißt das Martial-Arts-Festival, organisiert haben es Petra Küber und ihre Freundin Andrea Löwe gemeinsam mit dem internationalen Kampfsportverband IAGLMA und dem Kampfsportverein Bushido aus München. Schon zum zweiten Mal findet das Festival in Köln statt. Es gibt Workshops in Karate, Thai Boxen oder Krav Maga und anderen Kampfsportarten. Und es wird geboxt. »Boxen wird immer populärer«, erläutert Küber, die seit 2012 die »Sissi-Boxer«, die schwul-lesbischen Boxer und Boxerinnen beim SC Janus trainiert. Der Name der Gruppe nimmt die Klischees vom soften Schwulen und der unglamourösen Lesbe auf die Schippe: Das Logo besteht aus einem pinkfarbenen Boxhandschuh, den ein kleines Krönchen ziert. Jede Woche wird trainiert, gut 60 Personen sind beim SC Janus als Boxer und Boxerinnen registriert. »Das ist schon recht voll mit 20 bis 25, manchmal auch 30 Leuten«, sagt Küber, »deshalb haben wir eine Warteliste.« Bei den Sissi-Boxern sind die Teilnehmer fortgeschrittene Anfänger. »Wir haben aber auch eine ehemalige deutsche Vize-Meisterin dabei. Es gibt eine Handvoll, die hin und wieder auf Kämpfe gehen, die dann aber auch extern trainieren.«

 

Mit rund 60 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus dem In- und Ausland rechnen die Organisatorinnen für das »Pink Power«-Festival. Den Start macht ein lockeres Willkommenstraining, danach geht es in die Workshops, von denen immer zwei parallel stattfinden. In einer kleinen Sparring-Corner kommt es zum Kampf der Kampfsportkulturen. Die verschiedenen Stand-up-Disziplinen, also diejenigen Kampfsportarten, die aus dem Stand gekämpft werden, können gegeneinander antreten. »Da kann man mal gucken, wie man so mit Karate gegen einen Boxer zurecht kommt. Einfach so aus Spaß.«

 

»Pink Power« richtet sich eigentlich an Teilnehmende mit ersten Erfahrungen im Kampfsport, im Prinzip können aber auch Anfänger und Neulinge teilnehmen. »Jeder ist in jeder Disziplin mal Anfänger«, sagt Küber, »wenn ein klassischer Boxer in einen Judo-Workshop geht, hat der von Fallschule, von Werfen, von Hebeln vielleicht noch gar nichts gehört. Wenn ein Trainer lieber fortgeschrittene Themen behandeln möchte, dann steht im Programm, dass man die Grundtechniken beherrschen sollte.«

 

Aber nicht nur um Technik und Verbesserung der eigenen Leistung geht es, sondern auch um den Kontakt zwischen den Sportlern und Sportlerinnen und — wie so oft im schwul-lesbischen Kontext — um einen geschützten, vorurteilsfreien Raum. Spätestens seit den Gay Games von 2010 weiß man in Köln, dass diese Aktivitäten verbinden: Finanziell waren die Spiele kein Erfolg, aber allen Aktiven sind sie als absoluter Höhepunkt im Gedächtnis geblieben. »Triff queere Kampfsportler aus ganz Europa — egal welcher Disziplin, welcher Nationalität oder sexueller Orientierung«, heißt es auf der offiziellen Website der Veranstaltung, »and last, but not least: Feier mit uns und finde neue Freunde.« Familiär soll das Festival sein, nebst gemeinsamen Lunch, Abendessen und Ausflug in die Community. Man kennt sich, schließlich findet das 1999 in München begründete Festival bereits zum zwölften Mal statt, und freut sich auf neue Gesichter.

 

Verbale oder körperliche Gewalt gegen Schwule und Lesben ist auch in der selbsternannten Hauptstadt der Toleranz immer noch Alltag. Et hätt nit immer jot jejange. »Bei den Sissi-Boxern sind einige, die im Bermudadreieck ihre Geschichte erlebt haben«, resümiert die Trainerin. »Krav Maga — Selbstverteidigung — Quick & dirty« lautet daher auch der Titel eines der Workshops bei Pink Power. »Gewalt kennt keine Regeln. Krav Maga auch nicht«, heißt es weiter. Krav Maga ist hebräisch und bedeutet schlicht »Nahkampf«. In den 30er Jahren erfand der jüdische Sportler Imrich Lichtenfeld in Bratislava die Methode, um sich gegen die zunehmenden antisemitischen Übergriffe wehren zu können. Nach Palästina emigriert, entwickelte er anschließend entsprechende Schulungsmodelle. Zunächst für die israelische Armee, dann auch für Privatpersonen. »Aktuell gibt es lediglich Anlaufstellen, bei denen sich Opfer antischwuler Gewalt melden können«, erläutert Andrea Löwe, »aber kaum Konzepte, was Schwule und Lesben präventiv tun können, um eine Gefahrensituation zu vermeiden und wo ihnen effektive Verteidigungsmethoden für den Ernstfall an die Hand gegeben werden.«

 

Krav Maga ist kein Kampfsport, sondern ein taktisches Selbstverteidigungssystem. Im Nahkampf sucht man sich diejenigen Punkte, an denen es weh tut. Der SC Janus bietet entsprechende Workshops auch im regulären Programm an — bei gleichbleibend hoher Nachfrage. Die Kurse sind ein großer Erfolg und zählen im Durchschnitt 25 bis 30 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. In einem vierstündigen Basis-Seminar geht es zunächst um Taktik, Einstellung und Körpersprache. »Erst einmal arbeiten wir daran, dass die Leute sich selbst besser spüren und selbstbewusster auftreten. Selbstverteidigung fängt ja nicht erst bei der Technik an.«

 

»Quick and Dirty«, das impliziert, wie bei den Sissi-Boxern, ein Augenzwinkern. In diesem Fall allerdings mit einem Körnchen Sand im Auge. Anders als bei den traditionellen Martial Arts geht es bei Krav Maga eben nicht um Ästhetik, sondern um effektive Selbstverteidigung. »Kleine Frau gegen großen Mann. Das muss funktionieren«, sagt Sonja Küber, »und das funktioniert leider nur dirty!«

 


Pink Power Cologne, 12.–14.6., pink-power-cologne.jimdo.com