»Realismus ist immer eine Konvention«

Verschwörungs-Thriller: Christoph Hochhäusler über seinen Film Die Lügen der Sieger, den deutschen Krimiwahn und seine Vorliebe für Künstlichkeit

 

Ihre Hauptfigur Fabian arbeitet als Enthüllungsjournalist. Mit seinem Porsche und seinem Machismo wirkt er wie ein Anachronismus der 80er Jahre. Warum haben Sie ihn als Prota-gonisten gewählt? Die Figur bezieht sich in gewisser Weise auf eine Hochzeit des Journalismus, die so nicht mehr existiert. Aber es gibt erstaunlich viele Leute, die versuchen dieses Bild noch weiter zu le-ben. Während der Recherche ha-ben wir uns die Spiegel-Redaktion genauer angeschaut. Ich war er-staunt, in welchem Jahrhundert die noch leben: Natürlich sind die up to date, aber das Männerbild ist extrem 90er Jahre. Und dann ging es mir auch darum, eine Figur zu haben, von der der Zuschauer -denken kann: Der weiß, wie das Spiel geht.

 


Was verbindet ihren letzten Film »Unter dir die Stadt«, der im Frankfurter Banker-Milieu spielt, und ihren aktuellen Film? Die Tatsache, dass man den Blick über private Geschichten und einzelne Figuren hinauslenkt und ins »Panoramische« geht, wie mein Mitautor Ulrich Peltzer und ich das nennen. »Unter dir die Stadt« handelt ja nicht davon, wie Banken funktionieren, sondern mehr davon, wie sehr wir Produkt einer Umwelt, einer Peergroup sind. Wenn du als Banker arbeitest, dann kennst du nur Banker. Als Journalist und natürlich auch als Filmemacher ist das nicht viel anders. Das Privileg des Filmemachers und des Journalisten ist, dass sie zumindest eine Ausrede haben, quer durch die Gesellschaft zu gehen und sich andere Welten anzuschauen. Aber das ist Teil meines Berufes, wenn ich mir dagegen mein eigenes Umfeld anschaue: Das ist schon erschreckend homogen.

 


Beide Filme begeben sich tief in ein bestimmtes Milieu, sind aber trotzdem keine Milieustudien im engeren Sinne. Realismus ist ja immer eine bestimmte Konvention, die sich verändert. Ich selber habe wenig Freude an einer naturalistischer Mimikry, einer Oberfläche, die alle als »Ja so ist es!« empfinden. Ich habe Spaß an Allegorien, also an einer bestimmten Abstraktion, die man dann selber erzählen und übertragen muss. Mein Traum wäre ohnehin, dass der Zuschauer den Film selbst in Gedanken modelliert. Und das geht nur, wenn die Figuren eine bestimmte Künstlichkeit haben.

 


In ihren Filmen hat man immer wieder den Eindruck, mitten in eine Situation hineingestellt zu werden. Ich denke, jeder ist in der Lage damit umzugehen, wenn auch manche vielleicht unwillig. Wir sind schließlich im Alltag permanent in Situationen, die wir nicht von Anfang bis Ende kennen. Wir ergänzen und rekonstruieren ständig. Der große Trost und die große Illusion, die Filme zu einem sozialen Gleitmittel machen, liegt eben darin, dass sie das Gefühl von Verbindung schaffen. Die Deutschen sind ja Krimiwahnsinnige; der Krimi ist ja das beste Beispiel für so eine paranoische Sicht: Es gibt ein Geheimnis, alles hat damit zu tun, und am Ende ist es gelöst. 

 


Interessanterweise bewegen Sie sich in »Die Lügen der Sieger« ja selbst in diese Richtung, da die Verschwörung im Film vom Mythos der totalen Planbarkeit lebt. Mich hat an dieser Konstruktion interessiert, dass in dem Moment, in dem man als Zuschauer an einer Sache zweifelt, auch Dinge in Frage stellt, die vielleicht gar nicht als Fakes gedacht waren: Das ist ein Virus. Das Publikum will vertrauen und glauben. Aber wenn sich der Unglaube wieder einschleicht, gerät das ganze System ins Schwimmen.

 


Ihr Film ist nicht politisch im agitatorischen Sinne. Trotzdem stellt er einen Zustand dar, von dem der Zuschauer sagt: So darf es nicht sein. Ich kann vielleicht hoffen, dazu beizutragen, dass Bewusstsein entsteht. Oder der Film ein Werkzeug ist, um über bestimmte Sachen nachzudenken. Klar glaube ich daran, dass sich Gesellschaft verändern kann und bestimmte Dinge verändern müssen. Aber was ist auf der anderen Seite? In den 60er Jahren gab es noch diesen Glauben, dass das Paradies möglich ist. Diesen Glauben gibt es ja alle 50 Jahre. Und ich gehöre zufälligerweise nicht dieser Generation an, die daran glaubt, dass auf der anderen Seite irgendein Eden liegt. 

 


Ihre Filme wurden zuerst in Frankreich entdeckt. Woher kommt die größere Offenheit dort? Die französische Cinéphilie versteht sich als Kompass des Weltkinos. Sie wollen auch bestimmen, was deutsch ist, oder rumänisch. Das hat also auch etwas Paternalistisches. Und da habe ich glücklicherweise zufällig reingepasst, weil sie meinen Film sehr deutsch fanden. Andererseits gibt es in der französische Filmkultur auch ganz andere Debatten als in Deutschland, eine andere ästhetische Bildung und insofern ein offenes Auge für formale Auseinandersetzung mit dem Film. Hier herrscht dagegen ein großes Unbehagen gegen ein Kino, das formale Leidenschaften hegt. Spätestens seit 1933 gibt es diese Sehnsucht nach einem Kino, das unsichtbar, überwältigend und sentimental ist.