Eine Nacht, eine Einstellung

Berlin-Thriller: »Victoria« von Sebastian Schipper

Berlin-Mitte, eine dieser Nächte, in denen alles möglich ist: Ekstase unter dem Stroboskop, bierselige Gespräche auf dem Dach im Morgengrauen oder neue Freundschaften — ob nun für diese Nacht oder für den Rest des Lebens, was manchmal auf dasselbe hinausläuft.

 

In einer dieser Nächte gerät die junge, frisch in der Stadt aufgeschlagene Spanierin Victoria (Laia Costa) an eine Clique ausgelassen-linkischer Jungs mit Berliner Schnauze. Auf deren Angrabereien hätte sie sich vielleicht gar nicht erst eingelassen, wenn sie nicht unbedingt Anschluss suchen würde. Es ist einerseits die euphorisch beflügelnde Aufbruchsstimmung einer solchen Nacht, die Regisseur Sebastian Schipper sucht, andererseits aber auch die Melancholie des tiefen Sturzes: Nach ersten zärtlichen Annäherungen zwischen »Sonne« (Frederick Lau) und Victoria nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung. Die Jungs, teils schwer alkoholisiert, haben noch eine Verabredung mit einem Gangsterboss, der Ausgleich für einen Gefallen fordert: Im Taumel club-euphorisierter Verliebtheit trifft Victoria eine folgenschwere Entscheidung.

 

Als logistischer, aber auch darstellerischer Kraftakt ist »Victoria« ohne Zweifel nichts weniger als imposant: In einer einzigen Einstellung gedreht, hetzt der Film in über zwei Stunden quer durch die Morgendämmerung von Berlin-Mitte — vom Club auf die Straße, aufs Dach, ins Café, ins Parkhaus, in einen Wohnblock, ins Hotel. Ein waghalsiger Tanz auf Messers Schneide: Stets könnte das Vorhaben scheitern — das korrespondiert mit der Atmosphäre des Film, der lange eine schwankende Balance zwischen Straucheln und nach vorne zielender Power hält.

 

Andererseits liegt aber auch gerade darin das nicht unbeträchtliche Problem: Die Produktionsbedingungen werden zum eigentlichen Spektakel, gerade so, als traue Schipper seinem Genrestoff vor Berliner Kulisse nicht ganz. Wo der Film urwüchsig seine Geschichte erzählen sollte, kann er oft seine Inszeniertheit nicht verbergen.
Bei vielen Szenen fragt man sich zuerst, wie sie wohl technisch bewerkstelligt wurden. Zudem mangelt es an kerniger Genre-Souveräntität: Szenen wie das Treffen mit dem Gangsterboss im Parkhaus wirken wie unbeholfen aus dem US-Kino ausgeschnitten und ins deutsche Kino eingeklebt.