Biomacht

Rüdiger Pape inszeniert mit »Der Chinese« Deutschland als Ökodiktatur

Die Familie als Grundpfeiler der Gesellschaft proklamieren insbesondere konservative Politiker gern. In Benjamin Lauterbachs genialer Satire »Der Chinese« wird dieser Grundpfeiler als ganz schön wackliges Gefüge vorgestellt. Von wegen Harmonie!

 

Aber der Reihe nach. Lauterbach hat die Handlung in eine nicht weit entfernte Zukunft verlegt, in der sich Deutschland von der Welt abgeschottet hat. Dank Technologievorsprung und Autarkie leben die Bürger ein unbeschwertes und sorgenfreies Leben. Dass alles durch Paragrafen geregelt ist, stört sie nicht. Das oberste Gesetz im Staat lautet »Gesundheit«. Alle finden es super, alle machen mit. Willkommen in der Ökodiktatur. 

 

Das Bühnenbild, Licht und die Kostüme der biodynamischen Musterfamilie auf der Bühne, alles leuchtet in giftgrün. Eine Anspielung auf die »Loha«-Mentalität (Life-style of Health and Sustainability), der die Familienmitglieder in religiöser Inbrunst folgen. Handys gibt es nicht, auch keine Spielwaren aus Plastik, Urlaubsflüge, Zigaretten. Alle sind happy, zumindest behaupten sie das. Bis der Chinese, hinreißend gespielt von Eva Horstmann, ihre Welt ins Wanken bringt. Herr Ting ist als Gesandter gekommen, um vom Glück der Deutschen zu lernen. Am Deutschen Wesen soll die Welt auch in der Zukunft genesen. Von nun an gerät alles durcheinander. Die Kinder rebellieren, weil sie unbedingt das Spielzeug des Chinesen haben wollen, die Eltern werden skrupellos, weil sie befürchten, ausspioniert zu werden. 

 

Rüdiger Pape inszeniert den Stoff als überdrehte Farce, in der Slapstick und Running Gags auf klare und humorvoll umgesetzte Bilder treffen. Das hat Rhythmus und überzeugt. So etwa das ständige Zusammenrücken der Familie, zum Publikum gewandt, lächelnd — für das perfekte Familienfoto oder das Kanon-Singen »Froh zu sein, bedarf es wenig« als Leitmotiv. Ob gute Laune zu Beginn oder Panik am Ende, die Figuren hat Pape kari-katurenhaft angelegt. Alles wird übergroß gespielt. Sibel Polat als quengelige Tochter changiert gekonnt zwischen Kleinkind-Charme und Furie. Die Wandlung der Ehefrau von perfekter Gastgeberin zur Denunziantin gelingt Chris Nonnast auf den Punkt.

 

Kurzweilig und unterhaltsam wird durch den Einbruch des Frem-den in das deutsche Familienidyll dessen Scheinheiligkeit entlarvt. Pape liefert damit nicht nur einen guten Theaterabend, sondern ihm gelingt auch ein kluger Kommentar auf deutsches Gutmenschentum und den aktuellen Neokonservatismus.