Nimmermüde Wortmaschine

Lieber auf ewig brennen, als zu verblassen. Gabi Delgado-Lopez ist ständig auf Sendung — und niemals kompromissbereit

Gabi Delgado-Lopez pflegt vierzig Facebook-Gruppen und maximal fünf Stunden zu schlafen. Manchmal schläft er zwei Tage lang gar nicht. »Ich schlafe nur, wenn ich es wirklich muss«, erzählt er gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Wir sitzen auf einer Dachterrasse in Cordoba. Nicht weit entfernt steht das Haus seiner Großmutter, in dem er in den 60er Jahren ohne Eltern aufwuchs, nachdem diese vor dem Franco Regime nach Deutschland geflüchtet waren. Es sollte ein paar Jahre dauern, bis Delgado ihnen nach Remscheid-Lennep folgte. Den Kulturschock verkraftete er ganz gut. Nicht zuletzt dank der aufkommenden Punk-Bewegung, in deren Strudel er in Düsseldorf mit Robert Görl die Deutsch Amerikanische Freundschaft gründete und mit »Kebab Träume«, »Tanz den Mussolini« und »Der Räuber und der Prinz« den Soundtrack für die Verschwendete Jugend schrieb. Vor acht Jahren ist Delgado nach Cordoba zurückgekehrt. Nach zuletzt 19 Jahren in Berlin habe er genug von der unangenehmen Mischung aus schlechtem Wetter und deutscher Bürokratie gehabt.

 

Auch ohne Robert Görl verbreitet Delgado auf seinem neuen Soloalbum »2« die knisternde Spannung, die DAF seit jeher auszeichnet. Über »2« wollen wir eigentlich sprechen. Aber das ist gar nicht so leicht, denn Delgado hat viele spannende Geschichten zu erzählen. Er ist ein leidenschaftlicher Videospieler, liebt intensive Radtouren, unterzieht sich zweimal im Jahr einer Eigenbluttherapie, handelt schon seit den 80ern mit Aktien und Immobilien, sammelt Wein und Kunst, hat in Cordoba mit Freunden eine private Krankenversicherung aufgebaut und sucht zu guter Letzt den Austausch mit seinen Fans wie kaum ein anderer Künstler. Er kümmert sich täglich etwa zwei Stunden um seine mehr als vierzig Facebook-Gruppen, die er zu den unterschiedlichsten Themen angelegt hat — von Film über Mode und Performance-Dance bis hin zu diversen Musikgruppen. 

 

Eine dieser Gruppen trägt schließlich den vielsagenden Namen »2« und beschäftigt sich ausschließlich mit dem nun erscheinenden Album. »Die Leute in dieser Gruppe konnten sich früh die Stücke anhören, einschätzen und bewerten«, erzählt er. »Mir war bei dem Album wichtig, dass es zu einer anderen Form der Kommunikation kam. Nicht dass ich sie gefragt hätte, was sie sich wünschen, ich nehme als DJ ja auch keine Wünsche an. Aber ich versuche Stimmungen zu erforschen, will durch die Interaktivität einen anderen Prototyp des Popstars schaffen.« Die vielen Anregungen brachten es mit sich, dass Delgado die Entscheidung immer wieder vertagte, welche der »130 ziemlich guten Songs« es auf das Doppelalbum schaffen würden. »Ich mag es sehr, bis zum letzten Moment alle Optionen zu haben«, führt er aus. »Das Label kauft die Katze im Sack. Nichts ist zusammenhanglos, alles steht in einem Kontext. Es kann passieren, dass ein Wort, oder ein Beat, plötzlich nicht mehr für gut befunden wird, und sich so meine Interpretation nicht durchsetzt, weil eine andere die Köpfe der Menschen besetzt hat. Es geht mir um das, was der Engländer silent hits nennt: Sachen, die ewig brennen.«

 

Man merkt »2« an, dass Delgado niemand ist, der sich an einmal erfolgreiche Sounds klammert. So greifen viele der 32 Songs des Albums aktuelle Einflüsse auf. Sei es vom französischen Electro-Bastard Tektonik oder von dem aus dem Norden Brasiliens kommenden, auf billigen Casio-Keyboards produzierten Breger Sound. 

 

Produziert hat er »2« in seinem Heimstudio in Cordoba. Wie immer in einem geschlossenen Raum, unter Kopfhörern tanzend und mit modularen Synthesizern und Consumer Electronic wie der Playstation — und eben nicht auf analogen Synthesizern, wie man vielleicht denken könnte. »Um diese analogen Synthesizer ist so ein beschissener Hype entwickelt worden«, redet er sich in Rage. »Die Kids bekommen gesagt, sie sollen sich ein vierzig Jahre altes Gerät besorgen. Sollen sie nicht. Was man mit den alten Maschinen machen kann, das geht mit den neuen erst recht.« 

 

Die konsequente Meinungsfreude, die Delgados Auftreten kennzeichnet, prägt auch seine Texte. Sie entstehen als Reaktion auf die produzierte Musik. »Ich mache erst mal ganz viel Musik und dann lasse ich sie ruhen, bis ich sie fast vergessen habe«, erzählt er. »Dann höre ich sie über Kopfhörer und schaue, was mir spontan einfällt.« Das ist erstaunlich, da seine Texte seit jeher diese verdichtete Qualität besitzen, ganz als ob er sie immer mehr eingeköchelt hätte. Aber nein, das sei das Ergebnis seiner auf Imperativ getrimmten »Wortmaschine«, gibt er zu verstehen. Besonders gut funktioniert diese auf »2« bei »Begrüßungsgeld«, seinem pointierten Kommentar zum 25. Jubiläum des Mauerfalls: »Ich gebe dir Begrüßungsgeld, damit der Anfang leichter fällt. Vorwärts immer und rückwärts nimmer. Willkommen im Kapitalismus. Ich hab dir 100 Mark gegeben. Mit etwas Glück und Optimismus wirst du es sicher überleben.«

 

Neben Politik ist Sex ein stetes Thema in Delgados Katalog, das hat sich nicht geändert. In »Hausarrest«, einem der zentralen Stücke des Albums, schließt sich ein Pärchen für dreißig Tage im Keller ein. So lange habe er das selbst zwar nie gemacht, merkt er an, »aber ich habe mich auch oft aus der Welt in einen abgeschlossenen Raum zurückgezogen und nur um das gekümmert«. Manchmal schläft Gabi Delgado-Lopez zwei Tage lang gar nicht.