Schuss in die Sterne

Western: »Slow West« von John Maclean

»Es war einmal …« sind die ersten Worte, die in »Slow West« gesprochen werden. Das erste Bild zeigt den Protagonisten Jay beim Schlafengehen unter freiem Himmel, auf den der junge Mann langsam einen Revolver richtet, als wollte er Sterne erschießen. Das ist natürlich sinnbildlich zu verstehen: Die Redewendung »to shoot for the stars« umschreibt im Englischen hochfliegende Zielsetzungen. »Slow West« erzählt also ein Märchen von einem Himmelsstürmer.

 

Wir schreiben das Jahr 1870 und befinden uns im amerikanischen Westen. Dort sucht der 16-jährige Jay seine Angebetete Rose, die mit ihrem Vater die schottische Heimat verlassen musste. Den Grund der Flucht erzählt eine der kurzen Rückblenden, die gelegentlich eingestreut werden. Sie lassen schnell ahnen, dass die romantische Schwärmerei des naiven Adelsprosses von der Bauerntochter nie erwidert wurde. 

 

Jay gerät an den Kopfgeldjäger Silas, der sich als Begleitung aufdrängt, nachdem er ihn aus einer Zwangslage befreit hat. In einem seiner gelegentlichen Off-Kommentare nennt sich der hartgesottene Kerl einen der letzten Outlaws des Westens; von Jay wird er als »schweigsamer, einsamer Drifter« bezeichnet. Den stereotypen Klang solcher Beschreibungen unterstreicht ein Zigarillo, der meistens in Silas’ Mundwinkel klemmt, sodass diese Figur sicher nicht zufällig an Clint Eastwoods frühe Westernrollen erinnert.

 

Solche und andere Referenzen zitieren die Westerngeschichte als Resonanzraum des traumwandlerischen Geschehen. Doch der selbstreflexive Bezugsrahmen steht dem individuellen Charme, den diese britisch-neuseeländische Produktion entwickelt, erfreulicherweise nicht im Weg. Da John Maclean mit »Slow West« sein Spielfilmdebüt als Regisseur und Drehbuchautor gibt, ist umso beeindruckender, wie leichthändig das Ex-Mitglied der Beta Band jede skurrile Wendung dramaturgisch vorbereitet. 

 

Während Jay und Silas gemächlich gen Westen reiten, treffen sie im Niemandsland unter anderem auf musizierende Afrikaner, halbverhungerte, schießwüti-ge Räuber und einen Indianertrupp, bei dem es sich womöglich um Gespenster handelt. Dabei wird mit zunehmender Dauer der Realitätsgehalt des lockeren Plots auch durch die Mehrdeutigkeit der Erzählperspektive in Frage gestellt. Ist es also Hellseherei, wenn Rose’ neues Heim dem Protagonisten bereits in einem absinthgeschwängerten Traum genau so erscheint, wie Jay diese Präriehütte dann zum Schluss erblickt?