Ästhetische Thesenschleuderer

Mit »Das Werk« liefert raum 13 ein gigantisches Kaleidoskop industrieller Revolution

Wie schön Verfall sein kann, zeigt sich oft in stillgelegten Fabriken.
In Köln-Deutz ist es das ehemalige KHD-Werk, wo früher Motoren gefertigt wurden, das vor morbiden Charme nur so sprüht; liebevoll in Szene gesetzt von der Künstlergruppe raum 13 um Anja Kolacek und Marc Leßle. Akten- und Moosberge türmen sich in holzvertäfelten Büroräumen, im verfallenden Hof wehen Luftballons bedruckt mit Definitionen von Freiheit. In den Fluren inszeniert raum 13 die Performance-Reihe »Schönheit der
Vergänglichkeit«. 

 

Der erste Teil »Wohlstand für alle« feierte 2012 Premiere, es folgten die »Kriegsblicke«. Der dritte Teil »Das Werk« trägt nun den Untertitel »In 80 Tagen um die Welt« und beschäftigt sich mit der Industrialisierung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Motorisierung steht an diesem Abend sinnbildlich für Machtstreben und die Verschärfung von Ungleichheit. 

 

Sehr deutlich inszeniert raum 13 hier in den alten Umkleidesälen der Arbeiter die berühmten Widersprüche: In einer Dusche tanzt eine Schauspielerin in silber glitzernden Highheels zu Beat und »Fame-Glamour-Money«-Vocals, während im kargen Raum nebenan Matratzen liegen — es sind die Bettenlager von Armen, Obdachlosen. Bourgeoisie gegen Proletariat, der freie Markt produziert wenige Gewinner und viele Verlierer. 

 

Der Chor der Kapitalismuskritik liefert hier nichts Neues. In den weitläufigen Hallen und Bürofluren wirkt der Zustand jedoch emotional bedrückend, inszeniert in dieser morbid hochästhetisierten Umgebung fast verstörend; wenn sich z.B. eine Schauspielerin mit einem Lamellen-Flügel am Arm in Zeitlupe durch den Raum bewegt, der voll mit Scherben und Kabeln liegt und dessen Wände über und über mit Graffiti besprüht sind. 

 

Hämmern, Schleifen, Bohren in der Fertigungshalle, Autofahrten über den Hof, ein Ballett tanzt auf einem Erdball vor weißer Bühnenkulisse: Die Fülle an Material hätte für fünf Theaterabende gereicht. Zudem referieren Kolacek und Leßle mit der Besetzung von sechs Schauspielerinnen auf die Frauenbewegung der letzten 150 Jahre. Das hat was von Thesenwerfen. Es sind sehr schöne Bilder, die Aussagen bleiben vage. Man hätte der Dramaturgie einen roten Faden gewünscht. Dennoch beeindruckt dieser Abend als gigantisches Kaleidoskop industrieller Ver-gangenheit, dem mehr Gegenwart gut gestanden hätte.