»Wie ging nochmal das Lied?«

Immer mehr gemeinfreie Noten finden sich im Netz

Ende Juli hat das World Wide Web Consortium (W3C) die Gründung der Music Notation Community Group bekannt gegeben. Das mag zunächst nicht weiter spannend und eher technisch trocken klingen, kann aber in der Folge ähnliche Auswirkungen auf die Musikwelt haben, wie seinerzeit die Einführung des mp3-Formats. Denn es geht um nichts weniger, als die Entwicklung und Pflege eines einheitlichen Standards für die Darstellung von Noten im Netz. Und wir reden hier nicht von schlecht eingescannten, halb vergilbten Notenblättern. Vielmehr werden die Noten dann von allen Internetbrowsern ähnlich behandelt wie normaler Text und entsprechend gut dargestellt. 

 

Möglich wird dies dank der Zusammenarbeit zweier Firmen, die sich entschlossen haben, die Weiterentwicklung und die Pflege ihrer offenen Standards in die Hände des W3C zu legen. Von Make Music kommt das Music-XML-Format, mit dem Noten ähnlich dem HTML-Format für Webseiten abgespeichert werden können. Von Stein-berg kommt das Standard Music Font Layout (SMuFL), in dem definiert wird, wie ein Zeichensatz für die Darstellung von Noten aufgebaut sein muss. Dies funktioniert ähnlich dem Zeichensatz für Buchstaben und gewährleistet, dass z.B. eine Viertelnote auch immer als Viertelnote dargestellt wird. Durch das Zusammenkommen dieser Komponenten unter dem Dach des W3C ist der Grundstein gelegt für den nächsten Webstandard, die Musiknotation.

 

Sind die Noten erst einmal in dieser aufbereiteten Weise im Netz, sind sie für jedermann lesbar, kopier-bar und — das ist der Witz an der Sache — veränderbar. Denkbar wären dann Multinutzer-Szenarien in denen ähnlich wie in der Wikipedia gemeinsam an kritischen Werkausgaben gemeinfreier Musik gearbeitet wird. 

 

In Ansätzen ist dies schon heute möglich. Musescore ist ein Open-Source-Programm, mit dem sich per grafischem Editor einfache Notensätze erstellen lassen. Musescore beherrscht verschieden Dateiformate, darunter Midi, PDF und auch Music XML. Eine Alternative dazu ist Lillypond, bei dem allerdings die Noten per Texteditor (ähnlich wie in LaTeX) definiert werden. Dafür erzeugt es aber dem Vernehmen nach ein besonders schönes Notenbild, das aber nur als Bilddatei (PDF, PNG, SVG) abgespeichert werden kann. Es existiert sogar ein Plugin, um Lillypond in ein Wiki einzubinden. Durchgesetzt hat es sich in der Wikipedia bisher noch nicht. Dafür gibt es aber andere Anlaufstellen für gemeinfreie Noten im Netz.

 

Eine für Schulen, Kindergärten oder Eltern besonders interessante Anlaufstellen für gemeinfreie Noten im Netz ist die Webseite kinder-wollen-singen.de. Die Webseite wurde ins Leben gerufen, nachdem die GEMA 2010 die Kindergärten aufgefordert hatte, für das Kopieren von Noten zu zahlen. Und das, obwohl die Lieder, die gemeinhin bei Laternenumzügen und zur Weihnachtszeit gesungen werden, gemeinfrei sind. Damit dürfen sie auch streng genommen kopiert werden, wie Christian -Hufgard von dem Musikpiraten e.V. anmerkt. Lediglich spezielle -Sam-mlungen von gemeinfreien Liedern können unter Umständen als Ganzes schützenswert sein, nicht je-doch ein paar Lieder. Doch wer ist in der Lage, das genau zu beurteilen? 

 

Das sieht auch Sebastian Nerz von kinder-wollen-singen so: »Für die meisten Menschen ist die Recherche, ob ein Lied gemeinfrei nutzbar ist, extrem schwierig. Häufig weiß man ja nicht einmal, ob man nun eine alte Version des Liedes hat oder eine angepasste. Um sicher zu sein, muss man in alten Notenbüchern suchen. Welcher Nutzer kann das schon leisten?« 

 

Genau hier leisten die Macher der Webseite wertvolle Arbeit, denn sie klären zu jedem eingereichten Lied die Rechtslage. Die Zusammenarbeit mit den Verwertungsgesellschaften beschreibt Sebastian Nerz als mühsam: »Die Recherche-Datenbank der GEMA ist bisweilen nützlich, die eigentliche Arbeit liegt aber immer beim Nutzer.«

 

Zunächst wurden nur Weihnachts- und Laternenumzugslieder neu gesetzt und veröffentlicht. Spektakulär war die Aktion der Musikpiraten, als sie 2011 mit Hilfe dieser neu gesetzten Noten und einem erfolgreichen Crowdfunding rund 50.000 Liederbücher gedruckt und an Kindergärten verteilten. Auch heute noch ärgert sich Christian Hufgard über die für Laien diffuse Rechtslage, sowie die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Verwertungsgesellschaften bei der Klärung der Gemeinfreiheit. »Es wäre schön, wenn es verboten würde, in jedem Liederheft einen Copyright-Vermerk anzubringen, der schlicht und ergreifend falsch ist«, so Hufgard. Auch die sogenannte GEMA-Vermutung, dass der größte Teil der Musikrechte von der GEMA vertreten wird, bedürfe dringend einer Anpassung an die heutige Zeit. 

 

Was mit Adventsliedern angefangen hat, ist inzwischen zu einer stattlichen Sammlung gemeinfreien Liedguts angewachsen, bei der die bekanntesten Lieder leicht zu finden sind. Ist damit das Projekt an seine Grenzen gestoßen? »Der Peak ist erreicht, aber eher weil wir derzeit nur wenige aktive Setzer haben. Gemeinfreie Lieder gäbe es noch sehr, sehr viele. Es würde mich freuen, wenn sich da auch wieder mehr Helfer einbringen würden. Die Programme zum Notensatz sind wirklich einfach in der Bedienung«, so Sebastian Nerz.

 

Um es klar zu sagen: Das Abtippen von gemeinfreien Noten ist erlaubt, und damit auch die Verbreitung. Das macht sich auch mutopia-project.org zu nutze, dort gibt es rund 1.900 neu gesetzte gemeinfreie Werke. Darunter auch Bachs Goldberg-Variationen. Und wenn erst mal eine kritische Masse an Nutzern mit den richtigen Tools in Bewegung gekommen ist, entbrennt nach mp3 und den eBooks der nächste Copyright-Krieg: um Musiknoten. Wetten?