Multiphonics 2015

Das Instrument des Jazz ist das Saxofon, um genau zu sein: das Tenorsaxofon. Lautet das Klischee, das natürlich so nicht stimmt, wenn man an all die ikonographischen Trompeter (Louis Armstrong! Miles Davis!), Pianisten -(Thelonious Monk!) und Schlagzeuger (Max Roach!) denkt. Aber eines hat das Saxofon geschafft: Seinen nächsten — und älteren! — Verwandten zu verdrängen: die Klarinette.

 

Die Klarinette ist ein filigranes Instrument, ihr Ton ist differenzierter, »holziger«, sie scheppert nicht, braust nicht auf, ist schwie-riger zu blasen, vertrackter zu -spielen. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Klarinette im Jazz zu einem eigenständigen, souveränen Ausdruck gelang. Und es waren versponnene Genies und geniale Außenseiter, die dafür verant-wort-lich zeichneten — also Einzel-gänger wie Eric Dolphy oder Jimmy Giuffre.

 

Festivals, die ganz im Zeichen der Klarinette stehen, sind bis heute etwas Besonderes und Außergewöhnliches. Es sind Orte für musikalische Selberdenker und traditionsbewusste Experimentatoren. Das (nicht nur) in Köln stattfindende Festival Multiphonics vereint einige von ihnen. Zum Beispiel Frank Gratkowski, der in Köln und Berlin seit über zwanzig Jahren für Improvisationen steht, die die Strukturinnovationen der Neuen Musik aufgesogen haben, oder Michel Portal, der — wir bleiben noch einen Moment bei der Neuen Musik — vor vierzig Jahren einer der großen Stockhausen- und Boulez-Interpreten war und darüber zu einem sehr klaren und erhabenen Jazz gefunden hat, oder Louis Sclavis, der zu den Mitbegründern der funkelnden Folklore Imaginaire gehört, oder Ernesto Molinari, der auf der Kontrabassklarinette ganz andersartige Klangräume auslotet.

 

Moderne Klarinettenmusik, wie sie Multiphonics präsentiert, steht für eine Vielschichtigkeit, die die Kategorien Jazz, Weltmusik oder Neue Musik hinter sich lässt, durch die man sich aber auch arbei-ten muss (passend dazu -bietet das Festival eine ganze Reihe von Workshops an, in denen es u.a. um Improvisationspraktiken und Klarinetten zum Selberbauen geht). Aber was heißt »muss«? Arbeit und Genuss fallen hier zusammen. Klang und Erkenntnis auch.