Berstendes Glas klingt überall gleich

Die Kriegsindustrie hat die Welt zum Schlachtfeld erklärt. Kassem Mosse gibt eine Vorstellung davon, wie sich der unsichtbare, aber allgegenwärtige Krieg anhört

In der modernen Kriegsführung ist ein neues Kapitel aufgeschlagen worden. Im Rahmen des »Combat Zones That See«-Programms des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums wurde mit der Argus-IS eine Kamera entwickelt, die eine totale Überwachung im visuellen Sinne überzeugend umsetzt. Aus einer Höhe von fünf Kilometern erfasst Argus-IS ein Areal von 100 km2, und mit 1,8 Gigapixeln kann die Kamera in jeden beliebigen Punkt zoomen. Visuelle Intelligenz erzeugende Tracking-Systeme erkennen abweichendes Verhalten potentiell feindlicher Kombattanten und vernichten sie: Die Kamera wird von einer bewaffneten Reaper-(zu deutsch »Sensenmann«)-Drohne getragen. Für das Ziel ist die Bedrohung meist erst kurz vorm Einschlag durch das Pfeifen der tödlichen Präzisionsbombe bemerkbar. Das Schlachtfeld definiert sich erst im Moment des Raketeneinschlags, der Angreifer bleibt unsichtbar. Die Namensgebung des Programms verweist darauf, dass es nicht mehr ein Subjekt ist, das sieht, sondern das technologisch verstärkte Schlachtfeld selbst. Der Mensch kommt in diesem System nur noch als potentielles Ziel vor.

 

»Combat Zones That See« — so heißt auch das Sound-Art-Projekt von Gunnar Wendel alias Kassem Mosse, das er im Rahmen des Festivals »Pluriversale III« der Kölner Akademie der Künste der Welt -vorstellen wird. Der vom Guardian und The Wire gefeierte DJ-Produzent aus Leipzig ist bekannt für seinen eigenwilligen Techno-Entwurf mit politischem Impetus -zwischen Underground Resistance und Terre Thaemlitz. Auf die Frage, ob er seine künstlerische Arbeit als explizit politisch versteht, antwortet er aber mit reflektierter Zurückhaltung. »Nicht in einem vordergründigen Sinn. Aber vielleicht in der Art, dass ich mich auseinandersetze mit der Welt, in der ich lebe, und dass ich versuche dieses Nachdenken in eine Haltung und Praxis des Musikmachens zu übertragen.«

 

Seine an Detroit Techno geschulten Tracks mit klarer Rhythmus-Struktur und angerauter Textur tauchen immer wieder in Echoräume oder verirren sich auf Abwegen, die die Materialität der Musik unterlaufen und ihr eine unwirkliche, manchmal auch unheimliche Qualität geben. Von Bedeutung ist hierbei, dass Wendel mit zum Teil veralteter Musiktechnologie arbeitet. »In der Welt existiert eine Ungleichzeitigkeit der technologischen Mittel. Die Menschen verwenden alltäglich Technologien verschiedener ›Entwicklungsstufen‹«, führt er aus. »Ich denke, dass es wichtig ist, sich in der Arbeit mit elektronischer Musik nicht auf die jeweils neuesten Technologien zu stützen, auch weil das letztlich ein affirmatives Verhalten ist, das dem Phantasma der Innovation folgt. Wenn ich gegenwärtige Effekte mit, unter den heutigen Prämissen, veralteten Mitteln nachempfinde, ist es mir vielleicht möglich, andere Antworten zu finden, als die technisch gerade naheliegenden. Außerdem empfinde ich diese Begrenzung als gute Methode, sich der Ideologie des Alles-ist-möglich entgegenzustellen: Möglichkeiten sind nicht gleich verteilt und warum sollte man das nicht hörbar machen.«

 

Für seine »Combat Zones That See«-Performance verwendet Wendel zudem Klangmaterial, das nicht eindeutig auf Kriegsgeschehen verweist, sondern Spuren des Alltags und der Unterhaltungsindustrie trägt, etwa das surrende Geräusch eines Finanztransfers oder das Zoomen eines Kamera-objektives. Das Ausgangsmaterial deutet auf die Omnipräsenz eines grenzenlosen und unerklärten Krieges hin: »Mich interessiert die Verbindung von ›realen‹ und ›fiktionalen‹ Klängen, die Frage der Authentizität finde ich nebensächlich. Für mich ist es genauso legitim, Soundscapes aus Computerspielen oder Filmen zu verwenden wie vor Ort eingespieltes Material. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen Klängen sagt etwas über das Bild, das man sich in Westeuropa von anderen Regionen macht, aus. Wesentlich effektiver als ›ethnographische‹ Fieldrecordings oder offensichtlich lokal codierte Sounds finde ich es, ein Klangkontinuum aufzuzeigen. Berstendes Glas klingt überall gleich.«

 

Ausgangspunkt für das Projekt war seine Beschäftigung mit den Kampfdarstellungen in Homers »Ilias« für das »The Siege Of Troy«-Mini-Album, das 2013 auf seinem eigenen Label Ominiria erschien. In Auseinandersetzung mit der »Ilias« wurde ihm klar, wie wenig sich der moderne Krieg erzählen lässt. Die Geschichtslosigkeit des automatisierten Krieges gründet auch in dessen Unsichtbarkeit im bildversessenen Informationszeitalter. 

 

»Es ist sehr interessant, Homers Beschreibungen von Kämpfen mit unserer post-heroischen Gegenwart zu vergleichen. Wenn man die ›Ilias‹ liest und Homers Ästhetik mit Harun Farockis ›Erkennen und Verfolgen‹, seinen filmischen Analysen der Bilder, die von modernem Kriegsgeräten produziert werden, vergleicht, wird einem das extreme Ausmaß der Entmenschlichung bewusst. Bei Homer stirbt ja noch ein Mensch, und im Moment des Todes erfahren wir etwas über seine Herkunft, seine Eltern, etc. Homer macht das sogar bei Tieren. Bei der modernen Technologie jedoch sehen wir nur noch Punkte und Rechtecke ohne Vergangenheit und Zukunft. Dieser Raub von Geschichte, dass ist vielleicht das eigentlich Schockierende.«