Jenseits von Afrika

Eine umfangreiche Filmreihe

mit vielen Gästen zeigt »African Diaspora Cinema«

»Paris ist die Hauptstadt des schwarzen Afrikas« – das war Paulin Vieyras Entdeckung, als er dort 1955 mit Mamadou Sarr Alltagsszenen filmte. Elf Jahre später drehte der senegalesische Schriftsteller und Filmemacher Ousmane Sembène sein Langfilmdebüt »La noire de...« über Diouana, eine junge Frau, die aus Dakar aufbricht, um in Frankreich als Hausangestellte für ein reiches Paar zu arbeiten. »La noire de...« und Paulin Vieyras »Afrique sur Seine« sind die Ausgangspunkte der von Filminitiativ zusammengestellten Reihe »African Diaspora Cinema«. Sie zeigt Filme afrikanischstämmiger Regisseure, die jenseits des Kontinents arbeiten.

 

Die beiden Klassiker sind gut gewählt, lassen sich doch von ihnen Linien ziehen zu den aktuelleren Produktionen des Programms. Sie markieren sehr unterschiedliche Positionen: In Vieyras Werk sind die Spuren von dessen Ausbildung zum Filmemacher in Frankreich deutlich erkennbar, die Ähnlichkeiten zu antikolonialen Filmen weißer Franzosen wie René Vautiers »Afrique 50« (1950) oder Chris Markers »Les statues meurent aussi« (1953) sind nicht zu übersehen. Ousmane Sembène ging es hingegen Zeit seines Lebens um eine Erzählform, die sich visuell und narrativ von der Tradition europä-ischer und nordamerikanischer Filme unterschied: Sembène suchte ein »Drittes Kino«.

 

Wie bei Vieyra zeigen sich bei den meisten aktuellen Filmen europäische oder nordamerikanische Einflüsse: Der äthiopische Regisseur Dagmawi Yimer lebt seit 2006 in Italien. Als Regisseur bekannt geworden ist er 2008 mit »Like a Man on Earth«, den er mit Andrea Segre realisierte. Der Film zeichnet in Gesprächen mit Menschen, denen die Flucht übers Mittelmeer nach Italien geglückt ist, deren Routen nach und widmet sich der Rolle Libyens als von Europa finanzierter Fluchtbarriere. »Va pensiero«, ebenfalls von Yimer, kreist um die Erfahrungen schwarzer Menschen in Italien und rassistische Attentate in Mailand und Florenz. Yimers neuester Film »Asmat« ist ein Denkmal für die vor Lampedusa Ertrunkenen. Alle drei Filme stehen ästhetisch in der Tradition politischer Dokumentarfilme aus Italien.

 

In Raoul Pecks »Meurtre à Pacot« zerstört das Erdbeben vom 12. Januar 2010 auf Haiti über Nacht die Existenz eines Paares der Mittelschicht. Während die Frau vom nächsten Morgen an im Schutt wühlt, um zu retten, was zu retten ist, versucht der Mann, nach vorne zu schauen – und geht dabei über Leichen: Unter den Trümmern des Hauses liegt auch der Adoptivsohn des Paares begraben. Um die Ausbesserungen am Haus bezahlen zu können, nimmt das Paar im kleineren Teil des Hauses, der noch bewohnbar ist, den Mitarbeiter einer NGO auf. Um den Mieter nicht zu verlieren, weigert sich der Mann, die Leiche des Sohns zu bergen. Pecks Film webt eine filigrane Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse in die Handlung ein: in der Kritik an der Arbeit der NGOs, den Begegnungen des Paares mit Armut im Land oder der Vorgeschichte der Adoption. Machtanalysen wie diese bilden den Kern des zweiten Films von Peck, den die »African Diaspora Cinema«-Reihe zeigt: In »Moloch tropical« von 2009 verschanzt sich der Präsident Haitis vor seiner Bevölkerung in der Zitadelle Laferrière.

 

Auch die französisch-senegalesische Filmemacherin Dyana Gaye, die wie Peck zu Gast in Köln sein wird, ist mit zwei Werken in der Reihe vertreten: Ihr Kurzfilm »Une femme pour Souleymane« konfrontiert die Welt, die der junge Souleymane gegenüber seiner Familie in Dakar entwirft, mit der Realität seines Lebens in Paris. In Gayes Spielfilmdebüt »Des étoiles« findet sich die junge Sophie in einer ähnlichen Situation, als sie auf der Suche nach ihrem Mann in Turin ankommt. Dieser ist unterdessen auf der Suche nach einem besseren Leben in den USA weitergereist. Verloren wartet Sophie auf seine Rückkehr. Erst nachdem sie bei der Sprachlehrerin Ada eingezogen ist, beginnt sie, sich auf das Leben in Italien einzulassen. Das Zentrum von Dyana Gayes Film bilden die weiblichen Figuren: neben Sophie vor allem ihre Tante Mamy, die mit ihrem Sohn Thierno zur Beerdigung ihres Mannes nach Dakar geflogen ist. Wie Dagmawi Yimer erzählt auch Dyana Gaye global verschränkte Geschichten. Sie entlarvt die europäische Selbstbezüglichkeit, die die Verbundenheit mit dem Rest der Welt ausblendet, als Selbstbetrug. 

 

Eine der Stärken der Filmreihe liegt darin, die Filme nicht als ortloses world cinema zu rezipieren, sondern als Mosaik der Diaspora-Erfahrungen nebeneinanderzustellen. Diaspora bedeutet in den Filmen nur selten der Bezug auf eine global verstreute kollektive Identität, sondern eine komplexe Positionierung im Dreieck von Herkunft, Aufenthaltsort und umgebender Gesellschaft. Die Radikalität der Filme liegt nicht länger – wie beim »Dritten Kino« – in der Suche nach visuellen Alternativen zum west-lichen Kino. Sie besteht vielmehr  in der Verweigerung, sich Essentialisierungen zu beugen.