Durch die Kölner Nacht

»Hüter meines Bruders« von Maximilian Leo

Wenn »Victoria« der Berlin-Film der Stunde ist, auch dank der großartigen Musik von DJ Koze und Nils Frahm, dann leistet »Hüter meines Bruders« bei der Wahl der Bilder und Klänge Vergleichbares für Köln: Das Leben in den nächtlichen Straßen und Lieblingsbars der Stadt hat Kameramann Matteo Cocco beeindruckend gefilmt, und das Kompakt-Label liefert mit Tracks von Jörg Burger oder Matias Aguayo den perfekt sitzenden Soundtrack. Der schweigsame Mittdreißiger, der da durch das nächtliche Köln mäandert, heißt Gregor (Sebastian Zimmler) und ist auf der Suche nach seinem jüngeren Bruder Pietschi (Robert Finster).

 

Wie jedes Jahr war das ungleiche Paar über Pfingsten zum Segeln nach Holland gefahren. An sich eine gute Gelegenheit, einander näherzukommen, den Anderen besser kennen zu lernen, doch das gelingt Gregor paradoxerweise erst, nachdem Pietschi spurlos verschwindet. Auf der Suche muss der ältere Bruder in der nächsten Zeit feststellen, dass er so gut wie nichts weiß über den Jüngeren; nichts über seine Freunde, seine Beziehungen zu Frauen, seine Arbeit. Sein eigenes überaus geregeltes Leben als verheirateter Krankenhausarzt wird ihm dabei als ganz anderer Entwurf immer bewusster.

 

Wieder und wieder wählt Gregor die Mobilnummer des Verschollenen, der als Begrüßungstext einen Arzt-Witz auf die Mailbox gesprochen hat. Um Hinweise auf den Verbleib des Bruders zu finden, verschafft sich Gregor Zugang zu dessen Wohnung und beginnt ein Verhältnis zu einer seiner Ex-Freundinnen. Anders als in »Unter dem Sand« von François Ozon taucht nach dem ungeklärten Verschwinden eines Menschen am oder im Meer auch keine Leiche auf, die Gewissheit geben könnte. Umso mehr befasst sich Gregor mit Pietschis Leben, und je häufiger er auf dessen Spuren wandelt, um so stärker entfremdet er sich von seiner eigenen Existenz.

 

Maximilian Leo, der an der Kölner Kunsthochschule für Medien studiert hat, legt mit seinem Drama über Identität und Entfremdung ein starkes Debüt vor, dem man die Schwächen gerne nachsieht. So sind die raren Dialoge wenig elaboriert und einige Figuren des Drehbuchs von Susanne Finken bedienen schlichte Jungsfantasien: die heiße Nachbarin, die kontaktfreudige Bar-Bekanntschaft, die coole Kellnerin, die ständig nur zu genau weiß, was sie will, egal ob das Eis ist oder spontaner Sex auf dem elterlichen Teppich. Doch dem Sog der Erzählung und der Symbiose aus Bildern und Klängen tut das keinen Abbruch.