»Allerdings: Die Kirchenglocken!«

Der syrische Schriftsteller Osama Esber war Kölner »Stadtschreiber« – dabei hat er laute Kneipen und Süßigkeiten wie in Damaskus entdeckt

Vier Wochen hat Osama Esber, 41, Köln erkundet: Der syrische Lyriker, Übersetzer und Journalist war, im Austausch mit der Kölner Schriftstellerin Ulla Lenze, Kölner »Stadtschreiber« – ein Projekt des Literaturhaus Köln und des Goethe-Instituts. Seine Beobachtungen hat Esber den September über in einem Internet-Tagebuch unter www.goethe.de/midad veröffentlicht – zum Beispiel, dass die Sprache des Kölners ruhig und bedächtig sei, aber auch Platz für Grobheiten lasse.

Herr Esber, fühlen Sie Sich fremd in Köln?

Nein. Gleich als ich hier ankam, habe ich eine Art familiärer Beziehung zu der Stadt gespürt. Ich bin sehr freundlich empfangen worden. Und mir ist aufgefallen, dass Köln den Städten im Norden Syriens ein wenig ähnelt, es gibt ein kleines Stück gemeinsame Geschichte. Ich wurde an der Küste in Lataqiya geboren. Dort sind die Römer gewesen und haben zum Beispiel ein Amphitheater hinterlassen. Die Spuren der Römer sind mir auch hier sofort aufgefallen.

Es gibt also tatsächlich Ähnlichkeiten zwischen Köln und syrischen Städten?

Natürlich gibt es auch Unterschiede, angefangen bei der Architektur. Was mich aber sofort fasziniert hat an Köln ist das Leben auf den Straßen, diese freundliche Atmosphäre. Die Kölner sind sehr offen gegenüber Fremden – und bereit Neues auszuprobieren. In Syrien ist das ähnlich. In der Keupstraße habe ich gesehen, dass viele der ausländischen Bewohner Kölns sich auf Dauer niedergelassen haben. Man kann dort sogar die selben Süßigkeiten kaufen, wie man sie in Damaskus findet.

In den Straßen von Damaskus sind die Religionen sehr präsent, der Islam wie auch das Christentum. Sehen Sie Köln als eine weltliche Stadt?

Die Kultur in der arabischen Welt ist natürlich eine islamische Kultur. Das religiöse Leben ist bei uns ausgeprägter, das ist richtig. In Syrien gibt es alle möglichen unterschiedlichen Religionen: Muslime, katholische Christen, griechisch-orthodoxe, syrisch-orthodoxe und armenische Christen. Und alle leben ihre Religion viel öffentlicher als hier. Köln ist ja eine Hochburg des Katholizismus, aber religiöses Leben habe ich bisher nur in den Kirchen entdeckt. Ich bin in einige hinein gegangen und habe vor allem ältere Leute gesehen, die sehr versunken waren in ihr Gebet. Allerdings: Die Kirchenglocken! Wenn die einmal angefangen haben zu läuten, dann wollen sie gar nicht mehr aufhören. Wenn ich im Café nebenan sitze, nervt das. Aber schließlich ruft das Läuten dann doch eine wunderschöne Ahnung von langer Geschichte hervor.

Können Sie dem Kölner Nachtleben etwas abgewinnen?

Ich wurde hier von einem Bekannten ins »Low Budget« eingeladen. Er wollte mit mir über die arabische und die westliche Kultur sprechen, aber es war einfach zu laut. Die Musik dröhnte. Dann sind wir in die »Bar Tabac« gegangen, wo es mir von der Lautstärke her ein bisschen besser gefallen hat. Hier ist das Nachtleben vielfältiger als in Damaskus. Allein schon die Anzahl der Kneipen und Cafés hat mich verblüfft.

Haben Sie auch Unterschiede zwischen Damaszener und Kölner Intellektuellen bemerkt?

Nein, sie ähneln sich ziemlich: Sie betrachten die Gesellschaft neugierig aus der Ferne. Beide leben in einer Welt der Gedanken, und der Rest der Gesellschaft lebt in seiner eigenen Realität. Die Intellektuellen haben sich abgetrennt von der Realität der Gesellschaft – und die will sich auch gar nicht von Intellektuellen beeinflussen lassen. Die Massenmedien sind der Ersatz.

Haben sich Ihre Kölner Bekanntschaften für die arabische Kultur interessiert?

Einige sicher. Ich habe mit deutschen Intellektuellen darüber diskutiert, ob die Frankfurter Buchmesse sich für ihren Schwerpunkt »Arabische Welt« aus kultureller Offenheit entschieden hat – oder war das politisches Kalkül? Wir waren uns schließlich einig, dass nicht die Seele der deutschen Kultur nach Arabien verlangte, sondern der 11. September.

Wenn man in Damaskus auf der Straße als Ausländer erkannt wird, fragen einen oft fremde Manschen, ob man etwas brauche. Man wird auch zu den Leuten nach Hause eingeladen. Vermissen Sie diese offensive Gastfreundschaft in Köln?

Nein. Vielleicht hatte ich besonderes Glück. Durch die erste Literaturhaus-Lesung im Crowne Plaza haben sich viele Bekanntschaften ergeben. Danach haben mich viele Leute angerufen und in ihre Häuser eingeladen. So war ich einmal bei einer deutschen Familie, bei der ich mich gleich wie bei einer Familie aus den arabischen Ländern gefühlt habe, so herzlich war die Atmosphäre. Die Mutter war schon etwas älter. Sie hat mir ein Tagebuch gezeigt, ein syrischer Freund hatte ihr vor 44 Jahren etwas auf arabisch da reingeschrieben. Sie wollte gerne, dass ich es ihr übersetze. Es war eine Art Liebesgedicht, und so hat sie nach 44 Jahren erfahren, was ihr damaliger Freund für sie geschrieben hatte. Das war sehr schön.

Übersetzung: Helene Adjouri