»Es gibt keinen richtigen Weg«

Miguel Gomes (»Tabu«) über seinen Dreiteiler »Arabian Nights« —

ein Höhepunkt der diesjährigen Cologne Conference

Herr Gomes, im ersten Teils von »Arabian Nights« verbinden Sie die portugiesische Wirtschaftskrise mit ihrer Krise, als Filmemacher, darauf zu reagieren. Die Scheherazade aus »1001 Nacht«, die Sie in Ihren Film einweben, verleiht der Situation eine andere Form.

 

Es ging mir darum, sich gleich in die Stimmung der Scheherazade zu versetzen. Das ist ein Stück Volkskultur, das ganz elementare Gefühle wie Zorn und Verzweiflung auszudrücken vermag. Ich wollte mit einem Big Bang beginnen. So, als wäre der Zustand in Portugal während des Krisenjahres 2014 der Anfang aller Dinge. Alles ist in Unordnung. Doch dann wird etwas Neues geboren, und es nicht gleich möglich, darauf zu reagieren. Elemente des Pikaresken sind in dieser Idee auch enthalten: Die Mächtigen zu karikieren, ist etwa eine Möglichkeit, über deren Einfluss zu sprechen.

 


Der Film öffnet sich ständig für neue Erzählungen, manche davon sind dokumentarisch andere fiktional überhöht. Schon am Anfang gibt es drei Erzählstränge.

 

Ja, drei widerstreitende Stimmen: den Regisseur, der seine Arbeit nicht leisten kann, weil sie ihm zu schwierig erscheint; Leute, die arbeiten wollen, es aber nicht können, weil sie entlassen wurden und keinen Job mehr finden. Und dann gibt es noch diesen Mann, der seine Arbeit wie Arnold Schwarzenegger vollzieht: ein Terminator, der Wespen tötet. Er macht seinen Job, ohne Fragen zu stellen, wie in einem Film von John Carpenter. Ich habe versucht, mit diesen unterschiedlichen Zugängen zur Arbeit, die Zusammenhänge zwischen imaginären und sozialen Seiten der Krise in Portugal zu veranschaulichen.

 


Es entsteht der Eindruck, einem Organismus beim Wachsen zuzusehen. Ist das eine Reaktion darauf, dass herkömmliche Formen, mit denen man die Krise erzählen könnte, aufgebraucht sind?

 

Der Film wächst, wie Sie sagen. Er mutiert und verwandelt seine Formen und Stimmungen. Es gibt eben nicht nur eine Sichtweise auf das alles. Man muss so viele Charaktere wie möglich einbringen und eine formale Vielfalt garantieren. Erst wenn man unterschiedliche Zugänge gefunden hat, wird man der Komplexität einer solchen Krisensituation gerecht. Auf der anderen Seite öffnen wir mit der Figur der Scheherazade noch eine ganz andere Zugangsmöglichkeit: Diese könnte lauten, dass alles auch ganz anders hätte verlaufen können. Wir machen einen Film, in der Gegenwart, in Portugal — wir müssen uns aber nicht für eine Variante entscheiden. Im Kino gibt es nicht den einen richtigen Weg, es gibt nur viele falsche.

 


Ein Beispiel ist die Geschichte von Dixie, dem Hund, der zu mehreren Figuren im Film  führt. Zunächst in ein Apartment, in dem sich ein Paar umgebracht hat. Wie entstand diese Sequenz?

 

Wir haben mit der Geschichte des Paares begonnen. Die Entscheidung, in jenem Gebäude zu drehen, in dem sich das tatsächlich zugetragen hat, war schwierig. Wir haben uns lange damit aufgehalten, ob das ethisch überhaupt vertretbar ist. Für mich war das enorm wichtig. Mehr als aufgrund der Geschichte hatte ich aufgrund des Ortes das Gefühl, dass diese Episode in den Film gehöre. Wir haben Menschen aus dem Wohnbau gebeten, uns zu erzählen, was sich alles ereignet hat. Sie haben nicht nur über das Paar, sondern auch über sich und das Haus gesprochen. Das hat die ursprünglich morbide wirkende Idee dieses Teils verändert. 

 

Im dritten Teil gibt es Männer, die sich für Vogelgesänge begeistern. Geht es um eine alternative Geschichte zur Krise?

 

Wir kehren mit dem Film immer mehr zur proletarischen Klasse zurück. Die Männer wurden in slumähnlichen Gebieten geboren, ihr Leben ist nicht sehr angenehm. Ich hatte aber den Eindruck, dass niemand im Kino auf diese Menschen eingeht und zeigt, wie sie Dinge vollbringen, die man von ihnen nicht erwarten würde. Nach all diesen Geschichten, die fast schon zu tragisch erscheinen, wollte ich Leute zeigen, die etwas Unerwartetes tun. Es gibt wunderbare Dinge, die Menschen vollbringen, ohne dass man den Umstand verstecken muss, dass sie Probleme haben. Sie haben keinen Job, sie planen keine Revolution. Sie sind nur an den Vögeln und ihrem Gesang interessiert. In gewisser Weise suchen sie nach Schönheit, indem sie das Kostbarste der Tiere bewahren wolle. Das bewegt mich, weil es auch etwas über die portugiesische Gesellschaft erzählt, die sich in den vergangenen 30 Jahren sehr verändert hat.