Weihnachten auf dem Strich

Das 5. Homochrom-Festival präsentiert als Höhe­punkt das Transsexuellen-Drama »Tangerine«

Um politische Forderungen geht es nur noch unter anderem: Das Homochrom-Festival stellt stattdessen dem hetero-normativen Konsens die Fülle queeren Kinos entgegen. In den zahlreichen Komödien, Dramen und Dokumentarfilmen werden queere Lebensentwürfe mit erfreulicher Selbstverständlichkeit repräsentiert — das ist auch politisch.

 

Ein Highlight haben sich die Festivalmacher für den Abschluss aufgehoben: Sean Bakers Weihnachtskomödie »Tangerine«, auf dem Straßenstrich von Los Angeles gedreht, sorgte schon auf dem Sundance-Festival für Furore. Um hehre Familienwerte zum Feiertag geht es nicht: Vielmehr seift dieser rasante, streetsmarte Film gängige Vorstellungen vom Fest der Liebe — und von Liebe und Freundschaft überhaupt — gründlich ein.

 

Kaum aus dem Knast entlassen, erfährt die transsexuelle Prostituierte Sin-Dee Rella von ihrer Freundin und Kollegin Alexandra, dass deren gemeinsamer Zuhälter und Sin-Dees Freund Chester sie hintergangen habe - mit einem »Fish«, einer »echten« Frau mit Vagina also. Mit der Wut einer Gehörnten zieht Sin-Dee los, um ihre Rivalin zu stellen. Zeitgleich zieht der armenische Taxifahrer Razmik seine Kreise. Zu Hause erwartet ihn ein trist blinkender Weihnachtsbaum samt Schwiegermutter. Zuvor vergnügt Razmik sich mit Alexandra in der Waschstraße — im Donut-Store bündeln sich die Beziehungsdramen wie unter einem Brennglas zum explosiven, witzigen Finale.

 

Was bei Woody Allen ein Intelligentsija-Schwank um geliebte Prostituierte und drakonische Schwiegermütter geworden wäre, formt Sean Baker dank sprudelnder Dialoge und einer neugierigen  Kamera — der Film wurde komplett mit Smartphone gedreht —  zur Feier des prallen Lebens. Mit Vorliebe filmt Baker ins Gegenlicht: Die alles überstrahlende Abendsonne, Neonlichter und irrlichternde Reflektionen der Kameralinse verleihen dem Film einen sanft irrealen Firnis, ohne ihn seiner sozialrealistischen Komponente zu berauben. Eher bilden diese Spielereien, genau wie der fette Grime- und Dubstep-Soundtrack, einen utopischen Kontrapunkt zu den konkreten Härten, die Baker weder beschönigt noch verklärt. »Tangerine« ist ein roher Diamant von einem Film, schon jetzt ein Klassiker des US-Independent-Kinos.