Fünf mal Riley

»Alles steht Kopf« von Pete Docter

Das Kino sei in besonderem Maße befähigt, die »Errettung der physischen Realität« zu fördern, schrieb Siegfried Kracauer in seinem Hauptwerk »Theorie des Films«. An diese physische Realität war der Animationsfilm nie gebunden. Er kann Tiere sprechen lassen, Fabelwesen erfinden oder ganze Fantasiewelten erschaffen. Der neue Pixar-Film wagt sich noch darüber hinaus. Er betritt ein Gebiet, das als genuin literarisch gilt: die Introspektion, also die Welt der Gedanken, Erinnerungen und Gefühle.

 

Im Mittelpunkt steht die elfjährige Riley, ein aufgewecktes Mädchen, das gern Eishockey spielt und ansonsten mit ihren Eltern ein durchschnittliches Mittelklasse-leben führt. Riley ist glücklich, bis eines Tages der Umzugswagen vor der Tür steht. Ihr Vater hat einen neuen Job, und die Familie siedelt vom Mittleren Westen der USA nach San Francisco über. Riley kann sich mit ihrer neuen Umgebung nicht anfreunden. So weit, so unspektakulär.

 

Erzählt wird die Geschichte jedoch zu weiten Teilen aus der Innenperspektive Rileys. Der Film spielt in ihrem Gehirn. In einer Art Kommandozentrale, die ein wenig an die Brücke des Raumschiffs Enterprise erinnert, kümmern sich fünf Emotionen um Rileys Seelenhaushalt: Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel. Das Kommando hat die Freude, personifiziert durch eine Art gute Fee ohne Flügel. Ihr entgleitet jedoch die Kontrolle je mehr Riley in der Realität schlechte Erfahrungen macht.

 

Die Idee ist nicht ganz neu: Die US-Fernsehserie »Vier mal Hermann« hat sich Anfang der 90er Jahre an einem ähnlichen Konzept versucht. Pixar begnügt sich jedoch nicht damit, Gefühle zu personifizieren, sondern schickt Freude und Kummer auf eine rasante Reise durch Rileys Gehirn. Auf ihrem Weg kommen sie unter anderem durch das Langzeitgedächtnis, nehmen eine Abkürzung durch das Abstraktionsvermögen, finden Rileys imaginären Freund, besuchen die Studios, in denen die Träume erschaffen werden, und stürzen ab ins Unterbewusstsein. Am Ende erkennt Freude, wofür Kummer gut ist. Und Riley ist damit auf dem Weg zum Erwachsensein einen Schritt nach vorne gegangen.

 

Nach einigen weniger inspirierten Filmen kann Pixar im Hinblick auf Originalität und schiere handwerkliche Brillanz wieder an Meisterwerke wie »Wall-E« (2008) oder »Ratatouille« (2007) anknüpfen. Einen besseren Familienfilm wird es dieses Jahr nicht geben.