Resonanzräume des Schweigens

»The Look of Silence« von Joshua Oppenheimer

Irgendwo im indonesischen Hinterland sitzt eine alte Frau unter den Palmenbäumen ihres bescheidenen Gartens. Sie füttert die Hühner, versorgt ihren Mann und erzählt von dem Tag, als ihr Sohn ermordet wurde. Rami wurde 1965 nach dem Militärputsch inhaftiert und bestialisch abgeschlachtet — als einer von bis zu einer Million angeblicher Kommunisten. In »The Act of Killing« ließ Joshua Oppenheimer die stolzen Täter ihre Taten nachspielen. Nun ergänzt er seine Aufarbeitung des verschwiegenen Massenmords in »The Look of Silence« um die Perspektive der Opfer, die Tür an Tür mit den Mördern leben müssen.

 

Oppenheimer, der auf der Cologne Conference den Phoenix-Dokumentarfilmpreis erhält, begleitet den jüngeren Bruder Ramis zu Tätern und ihren Familien. Adi ist Optiker und kommt für Sehtests gewissermaßen undercover zu den meist greisen Mördern. Ernst, höflich, aber mit inquisitorischer Unnachgiebigkeit konfrontiert er sie mit ihren Taten. Der als Filmemacher gereifte Oppenheimer nähert sich ruhiger als in seinem Vorgänger der furchtbaren Banalität des Bösen, aber zugleich mit einer manifesteren Wut. Die beklemmenden Begegnungen werden älteren Aufnahmen der prahlenden Täter gegenübergestellt; intime Alltagsbeobachtungen von Adis Familie bilden stille Schutzzonen der Trauer und werden zugleich zu Resonanzräumen des Schweigens.

 

Sobald sich Adi zu erkennen gibt, schlägt die Offenherzigkeit der Massenmörder um: Einige winden sich auf ihren Stühlen, andere reagieren mit Drohungen, alle rechtfertigen sich. Die Weigerung der meisten Angehörigen sich den Taten ihrer Väter zu stellen, wird zum beredten Zeugnis eines Systems, in dem die Heldenlegenden über Generationen tradiert und durch Wiederholung zu Wahrheiten wurden. Das gilt für Täter wie Opfer. Im Unterschied zu den Opfern hatten die Täter die Möglichkeit, ihre Wahrheit politisch zu zementieren. Der bittere Befund: Aufarbeitung, Gerechtigkeit oder gar Aussöhnung ist ohne politischen Druck von Außen oder gesellschaftlichen Konsens kaum machbar. Das Eichmann-Prinzip ist zeitlos: Die eigene Verantwortung lässt sich immer an irgendwen in der Befehlskette auslagern.